Schnipsel

Das Ding mit dem „Pling“

Kulturkritische Anmerkung anlässlich der Francis-Bacon-Ausstellung in Düsseldorf)

von Maria Thomauske (Düsseldorf)


In den großen Hallen der Ausstellungen unserer Zeit bewegen sie sich wie ferngesteuert durch die Kunst, halten inne, lauschen wie kluge Kinder einer einfühlsamen Lehrerin, gehen leise weiter, eine kleine Anspannung in den Zügen: die Menschen mit Audio-Guide.
Sie tragen den Apparat als Kopfhörer über den Ohren oder halten ihn wie einen Telefonhörer in der Hand. Sie lernen unaufhörlich, während sie vor den Bildern stehen. Die Gemälde sprechen sie an, raunen sie an, schreien sie an, flüstern sie an, brüllen sie an – aber sie sind ganz aufs Hören der anderen Stimme konzentriert, deshalb bleiben die Bilder stumm.
Die wohltönende Stimme vom Audio-Guide informiert darüber, dass es sich bei dem Mann, dessen Figur sich fast völlig mit dem Hintergrund verbindet und dessen Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verwischt ist, wahrscheinlich um den Lebensgefährten Francis Bacons handelt.
Ach so. Damit hat man das Bild verstanden, eingeordnet, abgehakt und ist jeder Bemühung, jeder Einlassung definitiv enthoben. Hier hat Bacon seinen Lebensgefährten porträtiert.
So ist das. Und ein feines „Pling“ am Ende des Audio-Kommentars zu diesem Gemälde verkündet, dass damit die Auseinandersetzung abgeschlossen ist. Fertig.
Zum nächsten, ah, da ist keine Audio-Nummer dran, also weiter, denn ohne Audio-Nummer gibt es keinen Kommentar und ohne Kommentar hat man keinen Zugang zu dem Gemälde. Außerdem: Wenn ein Gemälde keine Audio-Nummer hat, scheint es den Kuratoren ja offenbar auch nicht so bedeutsam. Lohnt also nicht.

Hinter all dem steht die unausgesprochene Frage: Muss man die Hintergründe, das Biographische, des Technische und Anekdotische eines Gemälde kennen, um es zu würdigen, um es zu verstehen, um einen Weg zu seiner Wahrheit zu finden, oder steht dieses Bedürfnis nach nachvollziehbaren Fakten der Begegnung mit dem Bild sogar eher im Wege? Findet man übers Anekdotische zu den wirklichen Fragen, die Bacon zum Beispiel in seinen Porträts überdeutlich stellt, die Fragen nach der Art , wie man nur leben soll in einer aus den Fugen geratenen Welt, in zerstörten und aufgelösten Beziehungen, in einer grauenhaften Eiseskälte der Vereinsamung, in einer herzzerreißenden Trauer und Verzweiflung angesichts eines Todes ohne Aussicht auf Hoffnung und Erlösung. „Pling“ – ich denke nicht.
Ich denke, die Audio-Guides dienen der Flucht vor der Auseinandersetzung, indem sie Erleben und Empfinden durch vordergründige Fakten ersetzen. Diese Apparate leiten fließend zu den Museums-Shops über, in denen die Aneignung der Kunst durch Audio-Wissen konsequent ins Materiell-Konsumistische fortgesetzt wird.

Hier löst sich endgültig die kleine Anspannung in den Zügen der Besucher und weicht einem fröhlichen Shopping-Habitus. Mit Bacon-Plakat, -Tasche und -T-Shirt verlassen die Besucher versöhnt den „Musen-Tempel“.
Niemand hat sich die Seelenhaut auch nur angeritzt. Niemand hat darunter das mörderische Fleisch des Lebens schimmern sehen.
Niemand hat Bilder von Bacon gesehen.


Maria Thomauske (Düsseldorf)

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