Schnipsel

Cäsars Liebhaberin

Eine Geschichte von Annika Senger


Er ist wieder hier. Und wenn schon... Gleich wird er durch die Tür schreiten und wie ein bunter Gockel zum Lesepult stolzieren – gleich... Wenn sich dann unsere Blicke treffen... Wenn sie sich treffen! Sie werden sich treffen... Na und? Drei Jahre und drei Monate ist’s her. Was mache ich eigentlich hier? Bei ARD und Wolfgang von Lustgarten kotzen Sie in der allerersten Reihe? Dummer Gedanke. Dumme Idee, verfaulte Leichen wieder auszugraben! Das Thema war doch eigentlich gegessen. Meine Güte, ist der Saal voll, bestimmt 80 Leute! Und so viele Frauen! Da drüben eine total aufgetakelt mit Gitarrentasche. So viel weibliche Aufmerksamkeit hat der Schmähschriftenschmierfink aber echt nicht verdient. Naja, wen kümmert’s, mir ist’s inzwischen total schnuppe, wie viele Blindfische er manipuliert. War nur dämlich von mir, Oliver zu belügen. Ich fahre zu meiner Mutter! Obwohl er meine Leseleidenschaft zur Genüge kennt und es demnach gar nicht so verwunderlich wäre, wenn ich zu einer Dichterlesung ginge. Von Wolfgang weiß er nichts, das Kapitel ist ja eh indiskutabel. Eine Jugendsünde, unwichtig für mich und erst recht für die Menschheit –

Da ist er! Ist er ‘s wirklich? Wolfgang mit kurzgeschnittenem Haar! Ordentlich zurückgekämmt. Weißes Hemd und Schlips. Todschicker roter Designer-Anzug. Goldene Brille. Irgendwie gewöhnungsbedürftig brav, wenn man ihn nur als langhaarigen Wischmob vor Augen hat. Er sieht mich nicht. Vielleicht hat er mich vergessen? Nein, niemals, er ignoriert mich nur. Auch gut. Er schimpft sich ja jetzt Doktor Wolfgang von Lustgarten, Doktor phil. Wolfgang von Lustgarten und hebt sich damit gleich himmelhoch vom Fußvolk ab. Aber das hat er ja schon ohne Doktortitel großmeisterhaft gekonnt. Der gelehrte Schmierfink mit dem... –

„Meine Damen und Herren, ich habe die große Ehre, Ihnen eines der wohl größten deutschen Literaturtalente vorzustellen – Wolfgang von Lustgarten."

Doktor Wolfgang von Lustgarten, bitte!"

Typisch Wolfgang! Ich kann’s nicht fassen! Arschkriecherei nenn‘ ich das, was der Korinthenkacker von Buchhändler da neben ihm betreibt! –

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Herr Doktor von Lustgarten hat im Rahmen seines zu Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz mit Auszeichnung abgeschlossenen Germanistikstudiums fast zehn Jahre in unserer schönen Stadt gelebt, was uns Bürger nun zu ganz besonderem Dank gegenüber diesem brillianten Meister des Wortes verpflichtet."

Blablabla! Hat der Kerl noch alle Tassen im Schrank? Zumindest scheint er Talent zum Schwafeln zu haben. Ätzend, diese pseudo-gelehrten langen Sätze! –

„Nun steht zur Debatte, wie Sie vielleicht schon wissen, Herrn Doktor Wolfgang von Lustgarten als Namensgeber für unsere Universität heranzuziehen."

Wie bitte?! Wolfgang-von-Lustgarten-Universität???!!! Der hat ja wohl ‘n Rad ab! Aber ich will mich heute über gar nichts aufregen! Mein rechter Arm wird schwer, schwer wie Blei... Alles ist ruhig und voller Harmonie. Ich stehe über den Dingen, die mal waren und das auch nur zum Schein! -

„Vielen Dank, das ist für mich eine sehr große Ehre. Als erstes werde ich aus meinem Prosaband Cäsars Liebhaberinnen vorlesen und anschließend mit zehn Gedichten aus dem Lyrikzyklus Die Konkubine des Sonnenkönigs fortfahren. Am Ende verbleibt uns noch genügend Zeit zur gemeinsamen Diskussion."

Sagen die großspurigen Titel nicht schon alles? - Ich bin von Natur aus ein geiler Bock! Ich hab’s schon in der Stadtbibliothek getrieben! Zwischen meinen Meistern Alfred Döblin und Paul Celan! In Parkhausaufzügen mit der achtzehnjährigen Nachbarstochter! Ihre Eltern waren ja strikt dagegen. Aber sie war total verkrampft. Porno-Videos brauche ich nicht, ich bin selber scharf! Du bist aber wirklich unerfahren, Baby. Was?! Hattest vorher noch nie Sex? Ha! Ha! Nicht möglich! Ich bin ein sehr erfahrener Mann, Süße! Ich kann die ganze Nacht, vom Sonnenuntergang bis zum Vogelzwitschern, wenn ich erst mal in Fahrt bin!

Ende der Fastenzeit – Letzten Monat hatte Christiane Volldaneben den großen Dichterfürst Wolfram von Lieblich zum Essen eingeladen - "

Dieses Schwein! Hat bis auf den selten dämlichen Nachnamen noch nicht einmal meinen Vornamen geändert! Christiane! Ich werde ihn verklagen, den phantasielosen Schmieranten! Verklagen, aber jetzt ist es zu spät. Alles gedruckt! Und nicht mehr rückgängig zu machen! Ich weiß genau, was da kommen wird! Phantasielos in jeder Beziehung. Der dritte Advent, ein Sonntag. Plötzlich wird alles wieder so allgegenwärtig und plastisch! –

„Sie sagte, sie könnte nicht kochen, aber da Liebe für viele Menschen - und so auch für die fleißige Studienanfängerin Christiane Volldaneben - durch den Magen geht, fühlte sie sich durch ihren Fortpflanzungstrieb zu diesem Wagnis bewegt. Wolfram lobte sie überschwenglich für ihre Kochkunst, und das war genau das, wonach sie sich sehnte." –

Gefressen wie ein Scheunendrescher hat er! Meine Pfeffer-Spaghetti mit Auberginensoße! –

„Ihre Stimme wurde süßer und sanfter - "

Und seine ekelhaften groben Grabscher klebten schon vor dem Essen wie Krallen in meiner weißen Rüschenbluse! Schweißdurchtränkte Fleischklopfer! Aber das ist Vergangenheit! Wozu die ganze Aufregung? Er hat mich in seinem pamphletischen Pixi-Buch verwurstet! Na und? Wer weiß das? Verflucht, ich weiß es, er weiß es, vielleicht noch ein paar andere. Seine Vertrauten, falls er auf seinem Sockel welche hat. Er macht sich öffentlich über mich lustig! -

„Das kleine Mädchen sah aus wie eine Lady. Sein Lebenssaft Dichtung hatte sie trunken gemacht. Da für Christiane das Leben aber nicht nur aus Fressen und dem Fortpflanzungstrieb bestand, übte sie sich in Konversation. Darin war sie gar nicht so schlecht, wenn man von ihrem Gestotter an diesem Abend absieht - "

Als kleines Dummchen stellt er mich dar! Von wegen Gestotter! Reiß dich jetzt bloß zusammen, Christiane! Das ist erst der Anfang! Schreien kannst du zu Hause! – „Die Christiane hatte nämlich den ganzen Tag gefastet, und wenn man es auf einen etwas anderen Aspekt ihres Lebens bezieht, war sie jahrelang eine frustrierte Anhängerin der Null-Diät gewesen. Es kam, wie es kommen mußte - "

Meine Güte, ist das platt! Wenn ich jetzt nicht so wütend wäre, würde ich glatt losbrüllen vor Lachen! „Als Nachtisch servierte sie dem Wolfram ihren Körper. Wie manche Frauen aber eben so sind, gab es schon am nächsten Tag Krach zwischen den beiden. „Ich hab‘ das Gefühl, daß du mich nur ausgenutzt hast", beschuldigte sie ihn. „Nur das Eine hattest du in deinem schmutzigen Kopf, du Schwein! Nie hast du geantwortet, wenn ich gesagt habe, wie verliebt ich in dich bin!" Liebe Leser, wir kennen solche Streitigkeiten. Sie sind in unserem postmodernen Zeitalter wirklich nichts Außergewöhnliches. Der lerneifrige Dichter stand für einen Moment lang stumm da. „Ich bin wie ich bin", sagte er und verließ sofort ihre Bude. Diesmal war es für immer."

Ha! Ha! Dieser Möchtegern-Goethe sollte besser Tagebuch schreiben, anstatt in aller Öffentlichkeit Gift zu verspritzen! Ja, ich glaube, ich gehe jetzt. Auf der Stelle! Oder? Nein, dann würde er mich registrieren. Sich innerlich eins ins Fäustchen lachen! Ja, das würde er! Und seinen Triumph über mich feiern. Wie damals über mein schwaches Fleisch! Meine zerstörten Gefühle! Bin ich so viel Dreck wert?! Ich schalte ab! Schalte ab! Schalte ab! Ich höre nichts mehr! Ich will nichts mehr hören!!! Hörst du, Christiane? Lalalala, lalalala! Dumdidumdidum, der Saal ist stumm! Stumm! Dumm! –

„ – verdammte Christiane Volldaneben die Männerwelt. Letzte Woche sah man sie übrigens im Erotikladen um die Ecke. Sie soll sich da als Ersatz zwei lustige Spaßspielzeuge gekauft haben."

Wie geistreich, du meine göttliche Unsterblichkeit Wolfgang von Lustmolch! Und wo bitteschön war da der Sinn? Was ist an dir, daß du die Leute mit deinen schlüpfrigen Schmierereien so blendest? Aasgeier! Ziehst andere durch den Kakao, nur nicht dich selbst! Ist längst mal überfällig! Mistiger kleiner Fettkloß! Ich bring‘ ihn um! Der allerschönste! Der allerbeste! Und hinter der Fassade? Keine gescheite Frau läßt sich auf so was wie dich herab! Scheiße, ich... Abschaum! Liebestöter! Fischmaul! Sackgesicht! –

Im Café - Ich starre frustriert in meinen Milchkaffee und werfe ab und zu ein paar Blicke auf die hübsche Bedienung. An der Haltestelle vorm Fenster stehen zwei Techno-Studentinnen in H&M-Kostümchen. Ich lausche den Gesprächen, dazwischen das Klirren der Tassen und Löffel. Ich schmiere Wörter aufs Papier. Belanglosigkeiten werden ausgetauscht, der übliche Small-Talk. Ach, wen sehe ich denn da! Charlotte mit den fetten Schenkeln. Unsere Nächte waren wie eingeschlafene Füße"

„Du kleiner Chauvi-Drecksack!!! Fahr zur Hölle!!!"

Hey! Oh... Nein! Was ist passiert?! Die blonde Frau da drüben! Nächte wie eingeschlafene Füße... Charlotte?! Total verwirrt! Was...? Wolfgang! Überall Blut auf dem Pult! Oh, Wolfgang!!! In ihrer Hand... Sie hat... Sie hat ihn... Hat sie ihn...? Diese Schrotflinte in ihrer Hand! Die Frau mit der Gitarrentasche von vorhin! Ich glaube, mir wird schlecht! Sein Kopf! Nur noch Matsch! Hirnmasse auf dem Pult! Und das Blut, das ganze Blut! Kann nicht hingucken! Armes Mädchen! Armes, armes Mädchen...


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