Das Dekret des Kaisers
G'schichterl von Johannes Witek
Hephaistion Zwischengschwandtner kam durch die Haustür und gab
dem Kind eine Ohrfeige. Das Kind begann zu plärren. Seine Frau
lief aus der Wohnküche in den Flur. Sie war sehr blass.
„Was ist los?“, fragte Hephaistion.
„Der Kaiser hat ein Dekret erlassen“, sagte sie.
„Was? Wann?“
„Heute.“
„Woher weißt du das?“
„Sie haben es an die Kirchentür geschlagen.“
„Blödsinn. Grad im Büro war ich noch auf
www.derstandard.at. Da steht kein Wort davon.“
„Es stimmt aber. Wo gehst du hin?“
„Zum Nachbarn. Vielleicht weiß der was.“
„Frag ihn doch, ob er nicht wieder zu uns in die Heimsauna
kommen mag, wenn du schon da bist. Das ist immer so
nett.“
„Ja.“
Hephaistion lief zu seinem Nachbarn: Philotas
Zwischengschwandtner.
Der war im Hobbykeller und trank Bier. Am Boden saß sein Sohn
und warf eine Spielzeuglokomotive gegen die Wand.
„Hast du´s gehört?“, fragte Hephaistion.
„Ein Dekret“, sagte Philotas.
„Es stimmt also.“
„Wie kann das sein? Ein Dekret. Für uns? Ist so was
schon mal vorgekommen?“
„Keine Ahnung.“
„Das macht mir Sorgen.“
„Vielleicht ist es ja nichts.“
„Vielleicht.“
„Jetzt stress dich nicht. Warten wir erst mal die Versammlung
ab.“
Hephaistion rieb sich den Kopf. „Ja, aber verstehst du, mit
Dekreten ist das so eine Sache. Jeder weiß, es gibt sie, aber
du denkst dir halt, der Kaiser wird schon nicht ausgerechnet mir,
dem Einzelnen, dem jämmerlichen Untertanen, dem winzig vor der
kaiserlichen Sonne in die fernste Ferne geflüchteten Schatten
eins erlassen. Verstehst du, gerade MIR. Das ist doch
unnatürlich.“
Philotas nickte und zeigte auf seinen Sohn. „Hau doch dem
Kind eine rein. Da fühlst du dich gleich besser.“
Das Kind begann zu plärren. Es war ein mehliger, dicklicher
Junge mit Überbiss und Brille, der so hieß, wie er
aussah: Sebastian.
„Es geht schon“, sagte Hephaistion. „Bevor
ich’s vergesse: Meine Frau lässt fragen, wann du wieder
zu uns in die Heimsauna kommst.“
Am Abend war das Kurhaus brechend voll. Seit unvordenklichen Zeiten
gab es in Bad Pruheiershausen drei Familien: Die Obergschwandtners
stellten den Bürgermeister, den Gemeinderat und den Pfarrer.
Die Untergschwandtners betrieben das Sägewerk und die
Landwirtschaft. Die Zwischengschwandtners hatten den
Dienstleistungssektor inne. Seit unvordenklichen Zeiten hassten die
Obergschwandtners die Untergeschwandtners und umgekehrt.
Die Zwischengschwandtners waren neutral, mal hier, mal da. Davon
abgesehen hatte jeder im Ort schon jeden gefickt, meist öfter
als einmal und bevorzugt in diversen Heimsaunen.
Alle waren sie gekommen, inklusive Frau, Kind und Familienwauzi:
stahlharte, kugelrunde Bäuche; feiste rote
Musikschullehrerhände; Gesichter wie mit Schneeschaufeln in
Form gedroschen. Eine unheimliche Szenerie, wirklich. Zum
Fürchten.
Der Bürgermeister, Hyperion Obergschwandtner, trat ans Podest.
Er sagte: „Geschätzte Gemeinde!“
Sämtliche Untergschwandtners im Saal grölten und warfen
mit Bierdosen. Ein Tumult entstand. Aus der Menge kletterte
Enkelados Untergschwandtner, der Gewerkschaftsvorsitzende, auf die
Bühne.
„Genossen!“, schrie er.
Sämtliche Obergschwandtners im Saal buhten und pfiffen und
warfen ihre Monokel. Ein Tumult entstand. Aus der Menge wurde
Hephaistion auf die Bühne geschoben. Er wehrte sich, hatte
aber keine Chance.
Schließlich schrie er: „Mitbürger! Der Kaiser hat
uns ein Dekret erlassen.“
Schlagartig war es still. Dann ging ein Raunen durchs Publikum.
„Gibs ihnen, Häppi!“, brüllte Philotas aus
dem Auditorium.
Hephaistion räusperte sich. Seine Stimme zitterte.
„Ich weiß, ihr habt Angst!“, rief er. „Noch
nie hat ein Dekret des Kaisers Bad Pruheiershausen erreicht. Machen
wir es also kurz.“
Er riss den Umschlag auf, entnahm ihm eine Folie, legte sie auf den
Overheadprojektor (alle Dekrete des Kaisers wurden auf
Overheadfolien erlassen; - fragt nicht) und projezierte sie an die
Wand. Es war ein Farbportrait des Kaisers. Sonst nichts.
Stille. Dann schrie jemand: „Was zum Teufel?“
Ein Tumult entstand. Die Obergschwandtners beschuldigten die
Untergschwandtners. Die Untergschwandtners beschuldigten die
Obergschwandtners. Die Zwischengschwandtners beschuldigten
Hephaistion.
Philotas sprang auf und brüllte zur Bühne: „Wir
alle wissen, dass in deiner Heimsauna Sexpartys laufen!“
Hephaistion stürzte sich auf Philotas. Dann stürzte sich
jeder auf jeden. Männer droschen einander unter die
Sitzreihen. Frauen bissen sich Ohrläppchen ab. Kinder
plärrten. Hunde kopulierten.
Über all dem hing, in der rechten oberen Ecke der Bühne
an die Wand projeziert, das verschwommene Portrait des Kaisers: Ein
versoffenes, aufgeschwemmtes Ohrfeigengesicht mit debil stierendem
Blick. Dachte man sich den voluminösen Backenbart weg, sah er
genauso aus wie jemand, der dir dringend von seiner Scheidung
erzählen muss.
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Johannes Witek (Salzburg, 2007)
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