Schnipsel

Django Reinhardts dritter Finger


Unsere Beziehung zur
Wahrheit
ist eine heimliche
und darüber hinaus saisonal.


Sie hat weder Denkmalqualitäten
noch liegt sie schwerer im Magen
als, sagen wir, ein Zwiebelbaguette
nach vier Uhr Morgens
oder Django Reinhardts dritter Finger.

Im allgemeinen stehen wir davor
mit einem Jucken im Nacken
bloß und stumm und verwundert

und die kleinen Niederlagen jeden Tages
werden ein bisschen größer und summen
wie eine sehr schlechte Hansi-Hinterseer-Karaoke
wenn niemand hinhört.

Wirklich: die Phatik ist die Religion unserer Zeit
weil Einsamkeit ihre Krankheit ist
und die Laster, die wir uns zu Schulden
kommen lassen, sind vornihilisiert:
Das Hoffen auf eine Antwort,
ein Grab, keine Stimme.

Unser Gewissen ist so sauber
wie der Bereich unter der Vorhaut,
alles andere bringt Mutter zum Weinen,
echt; es gibt eine Menge psychoanalytische
Literatur zu dem Thema.

Die Wahrheit hat lange
als Himmelsbringer ausgedient
das große neue Wasserzeichen dort oben
dräut metallisch als überdimensioniertes
Thomas-Bernhard-Griessnockerl
aus hausgemachter Vorarlberger Scheiße.

Ein Toupet für Amsterdam
ein genitaler Nasenrammel fürs Subkutane
den Nutella-Löffel für die Vorabend-Quizshow-Weisheit
der kindheitstraumatierten Blutsuppe furzenden Kanonisierungsfetischisten
unter den manisch depressiven Augenbrauenbuschen einer euphemisierenden
Urinsteinlutscherzwischenmenschlichkeit -

mehr braucht es nicht
um nichts mehr zu brauchen.


Johannes Witek (Salzburg, 2007)

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