Schnipsel

Gutmenschen

Glosse aus dem Oberland-Kulturmagazin Leonart (Juni 08)



Außer ein paar chinesischen Politfunktionären wird ja kaum jemand was gegen den Dalai Lama haben. Dazu ist das alte Honigkuchenpferd einfach zu nett und knuddelig. Weil er auf Alles die gleiche Antwort hat, ist er der Popstar der Unterkomplexen und Gutmenschen, ganz ohne Sex und Blut, langlebiger als die Schiffer und Knut. Und weil er zur gefährdeten Art der Tibeter gehört und die Tibeter grad massenmedienkompatibel sind, rotten sich sogar in unserem braven Oberland vielerorts die Schläfertrupps der Menschenrechtsaktivisten, Naturschützer und Bruno-Veteranen zusammen, um mit ihren hochgehaltenen Heiligenbildchen für die freie Umrundung des Kailash zu demonstrieren. Als ob der Reinhold Messner oder der Schmied von Kochel hinter ihnen her wären.
Als ich mich vor ein paar Tagen in unserer puppenstubigen Altstadt vorsichtig der Mahnwache für Tibet näherte, spürte ich schon von Weitem meinen Makel des Nicht-Weltverbesserers und schaltete mein Denkgetriebe auf Schleichfahrt, um in den Untiefen der zu erwartenden Platitüden nicht anzuschrammen.
So bekam ich denn unter Anderem zu hören, dass die Seelenwanderung nun wissenschaftlich mit der Quantenmechanik bewiesen sei und dass laut String-Theorie jederzeit direkt vor meiner Nase ein neues Universum aus der Soheit aufploppen könne. Na gut, das könnte ich dann aber wahrscheinlich niemand mehr erzählen.
Ich hab ja eigentlich auch nichts gegen Gutmenschen, nicht einmal gegen vielleicht Reinkarnierte, wenn sie denn ihr Metier aus dem Karma der kritischen Reflexion betrieben statt hausfrauenkompatible Kalendersprüchlein einer pseudoreligiösen Esoterikindustrie nachzuplappern. Dabei ist kaum einem DalaiLamaisten klar, dass sich der Tibetische Buddhismus mit seinen schamanistischen Praktiken Lichtjahre von der agnostischen Weltanschauung Gautamas entfernt hat. Näher dran ist da noch der alte Theravada in Südostasien, mit dem sich allerdings der tibetische Klingelbeutel nicht gut füllen lässt, was das fehlende Engagement des ‘perfekten Heiligen’ angesichts der grausigen Zustände in Birma hinreichend erklärt. Und für den Wohlfühl-Konsum seiner Millionen Mitläufer reicht die geistige Kleingärtnerei des World-Wellness-Buddhismus allemal aus. Zum Eintritt ins Nirvana muss das Denken ja ohnehin erst der Leerheit weichen.
Aber nett waren sie wirklich an dem Stand, bekam ich doch zum Abschied eine Kinokarte geschenkt. „10 Fragen an den Dalai Lama“, so eine Art „Buddhismus für Anfänger“. Werd ich mir sogar ansehen, obwohl das wahrscheinlich an meinem gefühlten Dukkha nix ändert – das packt mich nämlich täglich beim immergleichen Samsara, jeden Morgen wieder beim Aufstehn.

© Werner Friebel (oxnzeam) & "Leonart"



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