Schnipsel

Neues vom neuen Menschen

Ein Interview von Marcel Auf der Maur

Guten Abend, meine Damen und Herren. Ich begrüsse Sie herzlich aus dem Labor für Human-Forschung der Firma INPHANT. Ich habe die Ehre, ebenfalls Professor Doktor Peter begrüssen zu dürfen, den langjährigen Leiter der Abteilung und einer der erfolgreichsten Wissenschaftler des Landes. Sehr geehrter Herr Doktor Peter, ihr Team sorgt in der Fachwelt nicht nur durch seine aussergewöhnlichen Leistungen, sondern auch durch unkonventionelle Ideen für Aufsehen. Ihr neuestes Projekt nennt sich ‘Eden’. Würden Sie so freundlich sein und unserem Publikum erklären, was das Besondere an diesem Projekt ist?

Aber gern. Die Wissenschaft hat ja grosse Leistungen vollbracht, um den Menschen zu perfektionieren. So wurde bekanntlich die Wirbelsäule verbessert, das überflüssige Steissbein auf die Müllhalde der Evolution befördert, das Herz leistungsfähiger gemacht und so weiter, kurz, der menschliche Körper auf Schwächen überprüft und überarbeitet. Leider blieb es bisher beim Stückwerk. Ein Labor bearbeitete beispielsweise ein bestimmtes Stück des Skeletts, ein anderes ein Organ. Im Projekt ‘Eden’ wird nun erstmals ein ganzheitlicher Entwurf des Menschen entstehen. Dafür wurde ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus der Genetik, Biologie, Soziologie, Psychologie und Philosophie zusammengestellt.

Das scheint mir nun doch ein ehrgeiziges und aufwendiges Unterfangen!

In der Tat, in der Tat. Die Firma INPHANT aber hat sich gesagt, dass man die Mühe nicht scheuen darf! Schliesslich geht es um eine glücklichere Zukunft des Menschen, äh ja... der ganzen Menschheit! Und so haben wir uns entschlossen, ganz von vorne anzufangen. Es geht uns um die elementaren Fragen zur menschlichen Beschaffenheit. Beispielsweise um die Frage ‘braucht der Mensch einen Mund zum Sprechen?’ Wenn es nur um die Nahrungsaufnahme und die Atmung geht, könnte man ja auch eine andere Lösung finden. Sie sehen, dass es unser Ziel war, über grundsätzliche Dinge nachzudenken, die man gemeinhin für selbstverständlich nimmt. Natürlich ist das Projekt ‘Eden’ keine Aufgabe, die man in zwei Wochen erledigen kann. Unser Budget erlaubt es uns, ein halbes Jahr an dem gesamtheitlichen Entwurf eines zukünftigen Menschen zu arbeiten, bevor er in die forcierte Laborphase eintritt.

Das klingt ja hoch interessant. Können Sie uns bereits etwas über die bisherigen Resultate verraten?

Obwohl das Projekt, wie Sie richtig bemerkten, erstmalig ist, befinden wir uns doch in einer gewissen Konkurrenzsituation, was die einzelnen genetischen Umsetzungen betrifft. Ich bitte also um Verständnis, wenn ich mich nicht allzu detailliert äussere. Aber soviel darf ich verraten: die zuvor angesprochene Frage haben wir mit Jein beantwortet! Die abstrakten Kommunikationsmöglichkeiten haben die sogenannten Naturlaute zu einem guten Teil überflüssig gemacht, eine einfachere, aber leistungsfähigere Mundöffnung - etwas zentraler im Gesichtsbereich als bisher und mit einem gestärkten Kiefer - und die Umgestaltung des Halses und der Stimmbänder scheint also durchaus sinnvoll. Allerdings wollen wir die psychologisch und soziologisch wichtige künstlerische Ausdrucksfähigkeit nicht beeinträchtigen, was etwa den Gesang betrifft, und denken darum parallel zum vereinfachten Modell an eine provisorisch ‘Kunstöffnung’ benannte Variante. Im übrigen haben wir die Frage ‘wieviele Beine braucht der Mensch zum Leben’ dahingehend beantwortet, dass zwei vorläufig genügen sollen.

Welche weiteren Anpassungen stehen im Vordergrund?

Nun, da gibt es eine ganze Reihe. Ich verrate an dieser Stelle etwas über die Geschlechtsorgane. Diese sind ja mit der Platzierung zwischen den Beinen nicht unproblematisch angebracht. Die gewöhnliche Kopulation etwa ist weder besonders einfach zu vollziehen noch besonders ästhetisch. Gleiches ist von der traditionellen Geburt zu sagen, die ja durchaus ein sinnvolles persönliches Erlebnis sein kann und eng mit den weiblichen Geschlechtsorganen zusammenhängt. Zu den praktischen Aspekten kommen psychologische Überlegungen hinzu. Viele wertvolle Anregungen in dieser Frage lieferten die neuesten Erkenntnisse der Sexualpsychologie. Dass die Sexualität in unserer Gesellschaft bedauerlicherweise immer noch ein Problem darstellt, hat viel mit der mangelnden Aesthetik der damit verbundenen Vorgänge zu tun, welche mit der Entwicklung des primitiven Menschen zum Kulturwesen einfach nicht Schritt halten konnten. Und die Organe selber sind nicht eben eine Zier des Menschen. Unser Ziel bei der Gestaltung und Platzierung der Geschlechtsorgane ist es, die ästhetischen Gesichtspunkte aufzuwerten und die Anwendung zu vereinfachen.

Oho, Doktor Peter, ich muss sagen, da bin ich aber gespannt! Verraten Sie uns noch ein paar Ihrer Geheimnisse!

Nun gut, eine zentrale Frage jedes Humanprojektes ist natürlich das Gehirn. Wir sind der Meinung, dass ein dezentrales Gehirn unbestreitbare Vorteile bringt. Wir arbeiten daher an einem Knochenbau, der die Anlagerung der Hirnzellen unmittelbar beim Knochenmark zulässt. Die Hirnzellen werden auf diese Weise im ganzen Skelett verteilt. Die gegenwärtige Hirnmasse weist ein Volumen auf, welches dies problemlos zulässt.

Welches sind denn die Vorteile, von denen Sie sprechen?

Die biologischen Vorteile bestehen darin, dass die sensitive Wahrnehmung und die körperliche Steuerung schneller erfolgt, da das Gehirn im ganzen Körper verteilt ist und quasi vor Ort arbeitet. Die Transmittion und damit Wahrnehmung und Reaktion ist unmittelbarer, und es werden weniger Übertragungs-Störungen auftreten. Salopp ausgedrückt lernt beispielweise der kleine Zeh selber denken, ha ha! Eine nicht zu unterschätzende Entwicklung verspricht sich aber auch die philosophische Abteilung unseres Teams. Sie hofft, dass die Zerrissenheit des Menschen, der Körper und Geist leider nicht als Einheit erleben darf, vermindert wird oder gar verschwindet. Der menschliche Geist - der doch stark mit dem Gehirn verbunden ist - sitzt ja nicht mehr nur im Kopf und schaut sozusagen auf den Körper herab, sondern verschmilzt mit dem Körper, was in der Zukunft hoffentlich ein freudiges, kräftiges Ja des Menschen zu sich selber möglich machen wird. Vor allen andern Professor Kneblig als Nietzsche-Spezialist ist diesbezüglich geradezu euphorisch gestimmt.

Aber was geschieht denn in Zukunft mit dem Kopf?

Als menschliche Zierde bleibt er selbstverständlich auf dem Hals sitzen. Die Hirnschale aber bleibt leer. Wir glauben, dass damit wertvoller Platz für die Zukunft gewonnen ist.

Geehrter Herr Professor, ich bitte um einen letzten Hinweis an unser Publikum, was den zukünftigen Menschen betrifft! Uebrigens, so hat mir Doktor Peter versichert, sind Anregungen von Ihrer Seite herzlich willkommen. Unter der eingeblendeten Telefonnummer werden Ihre Ideen gerne entgegen genommen. Zögern Sie nicht, uns anzurufen: vielleicht können auch Sie etwas zur Zukunft der Menschheit beitragen! Bitte, Herr Doktor Peter!

Einer gründlichen Ueberarbeitung bedarf der Magen-Darm-Trakt! Wir sind überzeugt, dass wir durch die Verbesserung des Nährstoff-Abbaus die Energiegewinnung um bis zu 10 Prozent erhöhen können. Was dies für die Ernährung der Weltbevölkerung bedeutet, brauche ich Ihnen nicht zu erklären! Ausserdem wollen wir Wärmeverlust verhindern, indem die verdauten Stoffe und die entstehenden Gase erst ausgeschieden werden, wenn sie 15,4 Grad unter der Körpertemperatur liegen. Der Energieaufwand zur Erhaltung der Körpertemperatur dürfte dadurch nochmals um 1 Prozent sinken. Man darf ohne Uebertreibung von einer Revolution im Magen-Darm-Trakt sprechen! Der störende Geruch der Ausscheidungen wird übrigens durch die bessere Verdauung ebenfalls vermindert, und sogar beseitigt werden können, da wir unmittelbar vor den Ausgängen die Produktion einer geringen Menge jenes Sekrets vorsehen, das auch in der gemeinen Telosia-Tulpe vorkommt und für deren Wohlgeruch verantwortlich ist.

Allerhand, Herr Professor! So kann ich nur noch...

...etwas möchte ich noch anfügen, weil es mir sehr wichtig scheint. Wir stehen kurz davor, ein sehr altes Problem des Menschen zu lösen, das darin besteht, dass der Mensch erst durch eine oftmals erschöpfende Anstrengung produktiv und damit für die Gemeinschaft nützlich werden kann. Der zukünftige Mensch nun wird bereits mit seiner Geburt nützlich werden, da er zusammen mit seinem Rotz einen wertvollen Wirkstoff produziert. Der gesammelte Rotz wird fortan zu einem hochwertigen Werkstoff verdichtet werden können, der sich vorzüglich für die Herstellung von robusten Schrauben jeder Grössenordnung eignet!

...ach ja? ...also dann, vielen Dank, Doktor Peter. Wann dürfen wir übrigens einen Prototypen erwarten?

Nun, ein physisches Modell dürfte in einem Jahr fertig sein. Für das Modell mit dem dezentralen Hirn brauchen wir wohl einige Monate extra.

Besten Dank für das Gespräch. Na dann, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, gute Nacht.

© Marcel Auf der Maur (2002)

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