Die Königin der FussgängerzoneEine Geschichte von Michael EichhammerHannelore und ich saßen im Wohnzimmer wie zwei Marmorstatuen in einem Park, durch den niemand mehr spazierte, und die da nur noch nicht weggeräumt waren, weil sich niemand daran erinnerte, dass sie überhaupt mal aufgestellt wurden. Man konnte die Langeweile riechen, man spürte sie auch, als klebrigen, zähen Widerstand in der Luft, wenn man kleine Bewegungen machte, zum Beispiel die Hand zum Bierglas oder zur Fernbedienung bewegte. Wenn man sich selber ausknippsen könnte mit so einer Fernbedienung, dann wären wir wahrscheinlich beide schon weg. Oder einer von uns hätte erst sich und dann den anderen damit weggebeamt. Von der Seite sieht sie aus wie eine Kuh, dachte ich. Und den Kontrast zwischen ihr und den verheissungsvollen Frauen im
Fernsehen hätte kein Kontrastregler auf keiner Fernbedienung der Welt regeln können. Wasserstoffbomben waren das und Hannelore ein Kleinkaliber. Überhaupt schon ihr Name: Hannelore! So hiess doch höchstens eine streng katholische Vegetarierin, deren ganzer Stolz ihre asiatische Zimmerpflanze ist oder die Frau des Kanzlers, über den in seiner Amtszeit mehr Witze gerissen wurden, als über sämtliche Ostfriesen, Österreicher und Blondinen der Welt. Und überhaupt: Was ist so lustig an Blondinen? Wenn einer eine Witzfigur war, dann doch meine Hannelore! Ein Schritt aus der Tür raus - Kulturschock! Alles in Zeitraffer, alles bunt, gross, laut und grell! Ich wurde fast nach hinten geworfen von der plötzlichen Beschleunigung, als hätte ich in einem Zug gestanden, der plötzlich anfährt. Ich hielt mich mit beiden Händen an der Tür fest. Ein Schritt hinaus. So musste sich Neil Armstrong gefühlt haben! Na also, ist doch ganz leicht, dachte ich mir, ich, der Held der Großstadt! Ich ließ mich einfach mitreissen von der Fleischwelle, die an unserem Haus vorbeischwappte. Ich sah mir die jungen Frauen in der Fussgängerzone an. Frauen, die den Namen Frau wirklich verdienten! Frauen, die diesen Namen als unsichtbaren Schriftzug auf ihren hautengen T-Shirts trugen, direkt unter ihren Brustwarzen, die sich übermütig durch den dünnen Stoff bohrten. Frauen wie gemalt, Frauen wie im Fernseher, Frauen wie in einem feuchten Pubertätstraum. Diese wandelnden Erregungen öffentlichen Ärgernisses, schön bis zur Schmerzgrenze! Warum war mir nicht schon früher aufgefallen, wie unangenehm eng der Ehering meinen Finger umschloss? "Ein Herr in der Midlife Crisis", sagte ich frech zu dem Mann, der mir halbdurchsichtig aus dem Glas eines Schaufensters entgegenschaute. Der dicke Enddreissiger erwiderte meinen spöttischen Blick und wir gingen zusammen weiter. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Eigentlich war ich schon mein ganzes Leben lang in der Midlife Crisis, dachte ich und sah mir wieder die Frauen an. Die Königin der Fussgängerzone kam mir gerade entgegen, die Absätze ihrer Highheels applaudierten ihrem eigenen Auftritt, sie trug ein rotes Sommerkleid, so wie ein Torrero sein rotes Tuch trägt, voller Eitelkeit, die gefüttert wird durch das Wissen, von Tausend Augenpaaren angegafft zu werden. Die anderen Frauen verwelkten in dem Augenblick, indem sie sie wahrnahmen. Der Typ Frau, die mich nicht mal anschauen würde, wenn ich neben ihr brennen würde. Das wäre immerhin schon etwas: für sie zu verbrennen! Der Stier zu sein, den sie mit ihren Blicken durchbohrte, selbst wenn es nur Blicke der Verachtung wären. Verachtung ist doch auch eine Form von Leidenschaft! Sie war der rote Ferrari, unter den ich mein Leben schmeissen wollte.
"Die frische Luft hat dir sicher gut getan.", sagte sie. © Michael Eichhammer (München 2002) |