Schnipsel

Michael Zoch: Kometen vom Fass

vorgestellt von Petra Hartmann

Manchmal, ganz selten, trifft man Bücher, die sind einfach etwas Besonderes. Die springen dich an, trümmern dir mal eben wie mit einem Vorschlaghammer allen Gedankenmüll und Kalk aus dem Schädel, und wenn dir dann eine Woche später noch immer das Herz vom Adrenalin überschäumt und jemand fragt dich: "Wie war es denn?", dann kannst du dich nur zurücklehnen und sagen, ... dass es sehr gut war.
Die "Kometen vom Fass" von Michael Zoch sind so ein Büchlein. Schmal, gerade mal 88 Seiten. Gedichte. Aber was für welche. Da schleudert jemand seine Verse mit der Gewalt eines Vulkanausbruchs aufs Papier, ohne Reim, ohne Maß, pralles Leben, satte Farben, Sex ohne Herumgeslamme, dazwischen Straßenszenen, Kippen und Katerstimmung, melancholische Bissigkeit und das alles in einer Sprache und in Bildern, berauscht vom Augenblick und trotzdem verdichtet und geschliffen; man spürt, dass da jemand lange und tief nachgedacht hat und weiß, was er da herausbrechen lässt.
Sprachlich sind diese "Kometen vom Fass" beinahe in jedem Vers eine neue Überraschung. Ungewöhnliche Bilder stürzen auf den Leser ein, Kombinationen von Worten, die sich vorher noch niemals begegnet sind, manchmal verspielt, humorig, manchmal herb, und überall hat sich auf diesen Seiten ein Stück intensives Leben abgefärbt.
     
Da begegnet man einem schwelenden Wesen, "das sich sachdienlich nachbarin nennt und unter den achseln nach stern tv riecht", da trifft man auf Wolken "mit überschlagenen beinen und knallroten heels an den wattefüßen" und "quastenflosser on the rocks und eingesprungene genitive", oder man begegnet "Linda Von Der Luftmatratze", die "in der belle etage des verwaltungsgerichts [...] in stinkstiefelpose die bürohengste züchtigt mit ihrem gnadenlosen frieden."
Sehr warm und von mediterraner Luft durchweht kommt ein Intermezzo mit acht Gedichten aus der Türkei daher. Sonne, Aprikosen und Meerschaumkronen, da möchte man glatt sofort aufbrechen. Oder doch lieber barfuß nach Bordeaux - und dann auf die Frage, wie du es bis hier hin geschafft hast, mit klobigem Grinsen antworten: "80 kippen am tag und nur engel geleckt von vorn bis hinten". Das hat was.
Und ist das Ganze nun neu, modern? Du liebe Zeit, wie blass wirkt das, was man heutzutage als moderne Gedichte im Lyrikregal findet, gegen dieses Geschoss. Als ob Re-volutionen, Re-formationen, Re-naissancen unbedingt auf etwas vollkommen Neues, nie Dagewesenes aus sein müssten. Jenseits von akademischen Schwerverdaulichkeiten oder pseudotiefsinnigen Gutmenschenversen aus dem VHS-Selbstfindungskurs hat hier jemand den uralten, ewig jungen Born der Dichtkunst angebohrt und schleudert einen elemantargewaltigen Dithyrambus hervor wie zu Archilochos' Zeiten. Und genau so ist das ja wohl auch gemeint gewesen, als die Lyrik auf diesen Planeten kam, schäumend wie Kometen vom Fass.
Ob freilich die konsequente Kleinschreibung erforderlich gewesen wäre, sei dahingestellt. Das machen Dichter seit 300 Jahren um zu zeigen, wie modern und antiphiliströs sie sind. Hätte Michael Zoch nicht nötig gehabt, der Mann kann schließlich dichten. Und versehentlich in den lyrischen Mainstream einordnen wird das Buch ohnehin keiner.

Fazit: Lest dieses Buch. Es sei denn, ihr schreibt selbst Gedichte. Könnte durchaus passieren, dass ihr eure Verse danach in die Tonne kloppt.


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