Schnipsel

Die Käseplatte von Grasberg

Eine Kurzgeschichte von Anant Kumar

Grasberg ist eine nette Gemeinde, die ein wenig nördlich von Bremen liegt. Es war doch ein wenig schwierig, an der richtigen Haltestelle auszusteigen, weil der Bus weder DISPLAY noch Haltestelle - Ansagen hatte. Echt eigenartig! D. h., einem Fremdem bleiben zwei Möglichkeiten offen: Entweder sitzt er gleich hinter dem Fahrer. Oder er schenkt seine ganze Aufmerksamkeit den vorbeifahrenden Schildern, damit er rechtzeitig springt und den Knopf drückt. Es hilft in solchen Situationen, wenn man schon in Indien gewesen ist.

Also ich war ein wenig verwirrt und fragte immer wieder jeden nach der Grasberg – Kreuzung. Im Bus saß eine junge Frau aus Grasberg, die mein indisches Gesicht von aufhängenden Plakaten her erkannt hatte. Aber sie blieb ruhig sitzen und hatte ihren Spaß an der Verwirrung eines einzigen Exoten im Bus.

Später teilte die nette Auszubildende lachend ihren Eltern mit "Euer Inder ist da. Er fragte an jeder Haltestelle nach der Grasberg – Kreuzung."
Interessanterweise war meine Übernachtung auch bei dieser Lehrerfamilie.

Ich wurde aber erstmal von einem anderen Lehrer abgeholt, der immer wieder seine SPD–Mitgliedschaft und seine Offenheit zu den ausländischen Mitbürgern ausdrücklich hervorhob.
Dieser allzusehr korrekte Mensch und freundliche Gastgeber hatte einen auffallenden slawischen Vor- und Nachnamen, über den eine ältere Dame in der Lesungspause mit mir unter vier Augen harmlos heiter lästerte. Meiner Vermutung nach hing der ständige Kummer dieses Lehrers um die deutschen Zustände zum Teil mit seinem slawischen Namen und zum Teil mit seiner östlichen Herkunft zusammen.

Der nette, höfliche Gastgeber hatte sich im voraus nach meinen Eßgewohnheiten erkundigt, und so deckte seine Ehefrau, auch eine Lehrerin, den Tisch mit verschiedenen Käsesorten. Davor wechselten wir wieder Sätze über Deutschland, Ausländer und die hohe Kriminalität, den würzigen Spendenskandal der Gegnerpartei, usw. Das Lehrerpaar war u. a. auch im teuersten Land der aufgehenden Sonne. Und als seine Frau erfuhr, dass ich mit einer Japanerin 4 Jahre zusammen war, lieferte sie ihren ersten Kommentar über die japanische Kultur: "Die japanischen Frauen leben unterdrückt für ihre Männer!"

Na ja, die Käseplatte war vorzüglich gedeckt, und ich konzentrierte mich auf die köstlichen Käsesorten und auf den Verzehrgenuss – losgelöst von Japan, Deutschland und Indien.
Das erfreute meinen Gastgeber, und sie gaben mir einzelne Details über die Käsesorten: Herkunft, Geschmack, Inhalt, z.B. Ziegenkäse: "Das ist aus der Ziegenmilch gemacht worden."
Ich aß länger und bereitete mich dabei auf den Leseabend vor, der auch gut mit einer positiven Presse-Kritik auslief.

Nach der Lesung führten wir kurze Smalltalks.
Ich übernachtete bei der anderen netten Lehrerfamilie, deren Tochter mich als erstes erkannt hatte. Am nächsten Morgen war mein Abschied von Grasberg. Wir saßen am Frühstückstisch und erwarteten den weltoffenen SPD – Lehrer mit dem slawischen Namen, weil er wie vorher vereinbart Brötchen mitbringen sollte.
Der gute Mann kam mit leckeren Semmeln, und wir fingen mit dem Frühstück an. Und in meinem halbschläfrigen Zustand wurde ich mit einer komischen Fragestellung konfrontiert. Die Frage lautete etwa so:
"Aber Herr Kumar, schauen Sie hierher, und Sie würden mir doch zustimmen, dass die gestrige Käseplatte viel mehr Sorten Käse hatte als hier auf dem Tisch?"
Bevor ich die Sache richtig verstand, fing darauf mein zweiter Gastgeber energisch zu antworten:
"Was? Wieso? Hier sind doch fünf Sorten: Edamer! Gouda! ..."
Ich wußte nicht, wie ich mich dazwischen verhalten sollte. Außerdem befand ich mich in der frühmorgigen wortkargen Phase.

Im nachhinein verglich ich doch die Anzahl der Käsesorten der Gastgeberfamilien, und dann stellte ich fest, dass einer mit seiner Feststellung doch Recht hatte.

© Anant Kumar (Kassel, 2001)

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