Wir sind wirklich mit Glück gesegnet. Nach zwanzig Jahren ist
seit Juni das Haus endgültig abbezahlt, der Flur und die
Küche wurden neu gefliest, wir konnten es uns sogar leisten,
das Wohnzimmer und das Schlafzimmer mit neureichen Teppichen zu
schmücken; ich als Beamter und du als Immobilienmaklerin, wir
verdienen richtig gut, wir können uns sogar zwei Autos leisten
und auch den Luxus einer Doppelgarage, unter einem Blätterdach
aus alten Ulmen.
Wir sind wirklich mit Glück gesegnet. Es gibt weder
Diskussionen über das abendliche Fernsehprogramm noch
über die Wahl der Urlaubsorte, ich schlage ein Ziel vor und du
bist einverstanden. Du erinnerst mich an meine Medikamente gegen
die Arthritis und ich erinnere dich daran, dass in zehn Minuten
deine Lieblingsserie beginnt. Jeden Sonntag frühstücken
wir gemeinsam. Deine geliebten warmen Milchbrötchen, die
Konfitüren, die du auf dem Markt kaufst, Milchkaffee, im
Hintergrund perlt klassische Musik. Anschließend fahren wir
zum Bahnhof, legen gemeinsam mehr als eine Zugstunde nach
Eichstätt zurück, um deine Eltern zu besuchen, bei ihnen
trinken wir noch mehr Milchkaffee und lassen uns mit dem
selbstgemachten Apfelkuchen deiner Mutter mästen. Apfelkuchen
habe ich erst zu schätzen gelernt, als du in mein Leben
getreten bist.
Jeden Sonntag fahren wir die immergleiche Strecke zum Bahnhof,
steigen am immergleichen Bahnsteig in den immergleichen Zug und
werden vom immergleichen Schaffner kontrolliert, es sei denn, er
verbringt seinen Jahresurlaub auf einem Zeltplatz auf Rhodos. Dann
fertigt uns diese junge Schaffnerin ab, die eine diskrete
Ähnlichkeit mit deiner Schwester Luisa hat, zumindest was
gewisse Formen betrifft.
Wir sind wirklich mit Glück gesegnet: ich kann solche Sachen
zu dir sagen, ohne Eifersucht ertragen und banale, nicht
überzeugende Argumente mir dafür aus dem Ärmel
schütteln zu müssen, dass ich nur einen schlechten Scherz
gemacht habe und du dich nicht aufzuregen brauchst. Und jeden
Sonntag nehmen wir den drittletzten Zug zurück nach
Nürnberg und schlafen spätnachts vor dem Fernseher
ein.
Unser Glück kann spätestens dann nicht mehr abgestritten
werden, wenn man die Perserkatze sieht, die wir uns zugelegt haben.
Auch ihr Name ist Luisa, aber so hieß sie schon seit ihrer
Geburt, und trotz aller Proteste seitens deiner Schwester wurde der
Name beibehalten. Ein schöner Name für eine schöne
Katze, Punkt. Sie verschmutzt nicht die Teppiche und verliert nur
relativ wenige Haare, worüber regt sich deine Schwester so
auf?
Wir sind wirklich mit Glück gesegnet, geliebte Sandra. Jeden
Morgen zur immergleichen Zeit verlasse ich die Wohnung, um zur
Arbeit zu fahren. Du stehst an der Schlafzimmertür, gibst mir
einen Kuss, manchmal trägst du dabei nur einen Bademantel. Ich
gehe die Treppe hinab und weiß dich oben an der
Schlafzimmertür. Erst wenn ich unten den Briefkasten passiere,
höre ich, wie oben die Tür zugeworfen wird. Dann stehst
du auf dem Balkon und siehst zu, wie mich die Haustür
ausspuckt, ich den Hof überquere, in meinen Renault steige und
ins Büro fahre. Abends ist es genau umgekehrt: ich stehe auf
dem Balkon und sehe zu, wie du deinen Mini in die Garage versenkst,
exakt fünf Minuten später aus dem Auto steigst, den Hof
überquerst und von der Haustür verschluckt wirst.
Die Zeit nach dem Abendessen verbringen wir beide allein, manchmal
überkommt es mich und ich lade dich in ein Restaurant ein oder
sogar ins Kino, mir ist es aber lieber, wenn wir zuhause bleiben,
das spart Geld und wir sind unter uns. Du hast nur selten etwas
dagegen einzuwenden. Zwar wirkst du von Zeit zu Zeit etwas traurig
darüber, aber du beschwerst dich nie.
Aufgrund unseres Glücks habe ich mir nichts dabei gedacht, als
es dir eines Tages zur Gewohnheit wurde, montags und donnerstags
länger zu arbeiten und dich dann vom Sekretär deines
Chefs heimfahren zu lassen. Du brauchst in seinem Wagen zehn
Minuten länger, um deinen Kram zusammen zu packen, aber ich
zerbreche mir nicht den Kopf darüber. Ich bin überzeugt,
er ist ein sympathischer, offenherziger Mann. Als ich ihn auf eurem
Sommerfest kennen gelernt habe, hat er mich überaus warmherzig
behandelt.
Die Tatsache unseres Glücks hat mich dazu gebracht, mir auch
nichts dabei zu denken, als du mich darüber in Kenntnis
gesetzt hast, dass du für ein paar Tage zu deiner kranke
Mutter fährst. Es hat mich etwas verwirrt, dass du all deine
Sachen vergessen hast, die du sonst immer mit zu deinen Eltern
mitnimmst, sogar deine Unterwäsche und den kleinen
Schminkkoffer hast du im Bad gelassen.
Das war vor zwei Wochen. Seitdem hat das Telefon nur einmal
geklingelt. Es war deine Mutter, die wissen wollte, wo du bist. Ich
habe ihr gesagt, das müsste sie doch besser wissen als ich.
Seitdem ist es still hier, aber diese Stille macht mir nichts aus,
sie stört mich nicht, ganz im Gegenteil. Gestört haben
nur die Lieferanten, weil sie mehr als drei Stunden gebraucht
haben, bis sie den Herd in die Küche gewuchtet haben, den ich
bestellt hatte. Ein Gasherd mit Ofen. Ich habe ihn Ende letzter
Woche gekauft, damit ich dich mit deinen geliebten
Milchbrötchen überraschen kann, wenn du nach Hause
kommst.
© Vincent Eugèn Noel
(Nürnberg, 2007)
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