Nun könnte man obige Zeilen noch weiter bedenken und analysieren - allerdings muss man einen Lyrikband auch erst einmal komplett durchlesen mit großzügiger Aufmerksamkeit, um zu sortieren nach Texten mit unterschiedlichem sprachlichem, thematischem und existentiellem Tiefgang. Die Kunst besteht ja immer darin, etwas Innerliches mit etwas Äußerlichem auszusagen, etwas Allgemeingültiges durch etwas Besonderes - und das in einer jeweils eigenen Sprache.
Und da sind wir eben bei Sternmut richtig, er weiß um den "sonderbaren / Grenzverlauf der Hirnhälften", er bewegt sich im "Sumpfgebiet meiner Ahnung", er findet das Wesen einer Angelegenheit "in sich mit anderen Worten". Und schließlich die erschreckende Erkenntnis: "Nichts ist wahr wie es ist." Und der "Samenstrahl der Sprache" ist ausgeliefert dem "Waffenblick der Wirklichkeit". Es hilft nur die "Selbstmutmachung" während wir den "Sekundentanz des Bewusstseins" erleiden im "Dschungel der Vorstellung". Und immer müssen wir so tun, "als gäbe es Aussicht / auf Wirklichkeit", als sei "die innere Welt ausgelotet", aber "das eigene Ich / die innere Verwerfung" bringt uns bestenfalls in "Nichtsnichts des Gesprächs". Da existieren wir in der Kommunikation mit dem Universum am Vereinigungspunkt von Raum und Zeit - und da passieren die unwichtigsten und die wichtigsten Dinge gleichzeitig: "Der Salamander fiel in ein Wasserloch / Und ertrankt, / Während eine Erdkröte gerettet wurde, / Einen Tag zuvor in Kalifornien."
Und wieder einmal geht es um den Tod und die Liebe und die poetische Flucht aus der Melancholie. Und irgendwie wird die Vorstellung einer Endgültigkeit auch schon wieder komisch, wenn es heißt: "Der Tod ist das Ende vom Tod.". So eine Formulierung dreht sich ebenso wirr in unserem Hirn wie die Aussage "Ich lüge" - aber die Wahrheit ist ja eben das Gipfelkreuz des Sisyphos.
© Karl-Heinz Schreiber 2010 (Literaturzeitschrift "KULT")