Schnipsel

Fünf Satzmuster

Prosaexperiment von Klaus Ebner


bodenständig

Keineswegs ergehe ich mich in Anschuldigungen, denn auch in meiner Jugend gab es Religionsunterricht, wie bei jedem Kind dieses Landes, und ich vermag nicht zu sagen, dass ich damals Schaden davongetragen hätte, nein, wir hatten ein lieben Lehrer, einen Pfarrer, und ich kann mich sogar erinnern, einmal der Klassenbeste gewesen zu sein, weil ich ein Krippenbildchen so schön ausgemalt hatte, ja, diese Erfahrungen prägen einen schon und so käme mir niemals in den Sinn, das ehrliche Bemühen der Gläubigen und den großartigen Inhalt der Lehre in Frage zu stellen, ich weiß ja auch, wie das alles lief, und natürlich geht es um Tatsachen, wenn von einer Kanzel zu hören ist, dass es die Juden waren, die den Heiland zuerst verraten und dann ans Messer geliefert hätten, da sieht man doch wieder das wahrhaft Böse, hat uns der Pfarrerlehrer schon damals erklärt, aber das spielt ja heute sowieso keine Rolle mehr, denn jetzt sind sie ja weg, die Juden, aber das hat selbstverständlich nichts damit zu tun, denn der Urgroßvater, der hat ja noch für den Kaiser gekämpft und vor allem nach dem großen Krieg, wo man uns alles weggenommen hat, die Kornkammern in Böhmen und die Gemüsehaine im Osten, da sei es uns so richtig dreckig gegangen, und erst die Christlichsozialen und dann die Braunhemden und danach die braven Menschen der Zweiten Republik (und irgendwie sei das sowieso alles dasselbe, sagte der Großvater in seinem geheimnisvoll-mystischen Gehabe) hätten versucht, mit der Misere aufzuräumen, und manche wären da eben im Weg gestanden, also das heißt, um wieder auf das Thema zurückzukommen, im Grunde ist es doch das Evangelium, das unser Land und seine Kultur geprägt hat, man denke doch nur an den Barock, an diese wunderbaren Errungenschaften der Kunst und der Architektur, ja und die Kirche ist schon ein wichtiger Faktor in diesem Land, schließlich braucht man eine gewisse Führung, nicht wahr, und dass Jesus selbst Jude war, der in einer jüdischen Welt lebte und jüdischen Glauben predigte, ja mein Gott, pflegte da der Vater zu sagen.

 

korrigierend

Ein Wal ist kein Fisch, fuhr ich auf, denn ich hatte kein Verständnis für irreführendes Durchmischen von im Grunde deutlich voneinander abgegrenzten Benennungen, ja ich hasste diese Eigenheit, wo sie doch auf Bequemlichkeit beruhte, auf Denkfaulheit und Wurschtigkeit, die einem Kind noch nicht auffielen, und so klang es glaubhaft, gesprochen von einem Erwachsenen, absolut überzeugend, obwohl es schlichtweg falsch war, und ich hielt ihr vor, unserem Sohn Unrichtiges beizubringen, doch besaßen wir die Pflicht uns zu bemühen, dass solches nicht geschah, stellten sich Fehler in seinem Leben ohnehin noch von selber ein, da brauchten wir nicht noch eins draufsetzen und den jungen lernenden Geist mit verqueren Ideen voll stopfen, damit er am Ende nicht mehr wüsste, wo sich oben und unten befänden, also wies ich sie darauf hin, auf ihre Worte zu achten, daran zu denken, dass sich alles eines Tages rächte, wenn schon nicht bei uns, dann zumindest bei ihm, und das hatte sie doch nicht im Sinn, ich beschwor sie, in sich einzukehren und wenn sie zweifelte, einen Kundigen zu befragen oder ein entsprechendes Nachschlagewerk zu Rate zu ziehen, schließlich könnte man nicht alles wissen, und bevor sie noch zu ihrer Entgegnung ansetzte, zum trotzigen Gegenangriff, der sich in gewohnter Weise bereits in ihren Pupillen abzeichnete, dachte ich insgeheim, wie schön es wäre, auf einer einsamen Insel zu sitzen und den Walen zuzusehen, die keine Fische sind.

 

lebensnah

Er denke oft daran, wie der Kleine sich traumgeschüttelt rühre, überraschend aufheule und sich von seiner Hand beruhigen ließe, die er schlicht auf seine Wange lege oder mit der er die seine fasse, danach ginge es dann wieder und insgesamt könne sein Sohn durchaus drei Stunden schlafen am Nachmittag, aber natürlich würde dies alles zunichte gemacht, wenn er am Vormittag plötzlich erführe, dass er zu einer Besprechung ins Firmengebäude musste, da führte sich die ganze Regelung zur Telearbeit ad absurdum, gewiss passiere das nicht sehr häufig, aber jedes Meeting verschaffe ihm beträchtliche Organisationsprobleme und sogar wenn diese lösbar waren, blieb das schale Gefühl, sein Kind wieder einmal verraten zu haben, wenn er es am Nachmittag verließ, mitunter stelle er sogar fest, dass ihm an seiner Arbeit herzlich wenig lag, die hehren Ziele des Vorstands wirkten fahl und fern, er bevorzuge nämlich längst die Gegenwart des Buben, auch wenn er sich angesichts der Arbeit, die an einem Telearbeitsplatz erledigt werden musste, nicht sehr intensiv um ihn kümmerte, doch allein die kurzen Umarmungen, die es zwischendurch gab, das gemeinsame Mittagessen, das fallweise Wickeln und das In-den-Schlaf-Wiegen hätten dermaßen an Wert gewonnen, dass es ihm fehle, wenn er mehrere Tage bei Kunden oder in der Firma verbrachte, nicht einmal die so genannte Karriere vermochte ihn zu locken, denn er wisse schließlich, dass sein Kind ohne auf ihn zu warten wuchs, und was er in den ersten Jahren verabsäume, könne er nie mehr nachholen.

 

namenlos

Eine kauernde Gestalt, mit dem Rücken an die Hauswand gedrückt, den Arm erhoben, zur Warnung, als Geste, das Schießen doch einzustellen, und an seiner Seite, verängstigt, das Antlitz an die Brust des Vaters gepresst, der Junge, er schrie, doch vergingen die Rufe im Lärm des Scharmützels, Minuten entsetzlicher Ausweglosigkeit, unausweichlich dazwischen, im Krieg, der Jahrzehnte schon andauerte, zwischen den Mündungen beider Völker, ungehört und vom Bellen der Gewehre tonlos gemacht, aber zufällig, rein zufällig, gefilmt und als schweigende Klage der Welt vermittelt, über die Nachrichtenschirme, welche das Bild stechend und scharf in mein Gedächtnis stanzten, es währte nicht lang und das Kind verstummte, tödlich getroffen, an der Seite des Vaters, der hilflos und weinend die Arme erhob und den Körper des Knaben umfasste.

 

welk

Im Licht des hereinfallenden Morgens drehte der Alte die Hand, besah das Gelenk und den Handrücken, mit den Fingern betupfte er die Haut, berührte jeden einzelnen der bräunlichen Flecken, zugleich ungläubig und nachdenklich, er schüttelte den Kopf und ein undefinierbarer Laut, ein Grunzen, das eigentlich als Seufzen gemeint war, entschlüpfte der Kehle, bedächtig stapfte der Alte hinaus, verließ das Wohnzimmer, begab sich draußen ins Bad und öffnete den Wasserhahn, behutsam die Temperatur prüfend, um dann den Handrücken unter den Strahl zu halten, dann zog er ihn zurück, pappte einen dicken Tropfen Flüssigseife darauf und verrieb ihn mit kreisender Bewegung, aber die Flecken blieben auf ihrem Platz, er rieb also heftiger, probierte danach dieselbe Prozedur auf der anderen Hand aus, bemerkte bald die Erfolglosigkeit seines Tuns und schaute in den Spiegel, worin die Lippen eines Greises zitterten und eine Träne über die Backe lief, auch im Gesicht sprossen die Flecken, braun, manche schwarz, klein und zahlreich, wie Pilze, die einen abgestorbenen Stamm verklebten, und er senkte den Blick, er ribbelte die Handflächen aneinander, immerzu danach trachtend, die Flecken, diese unansehnlichen Kleckse, die er aus den Augen haben wollte, loszuwerden, sie abzuschrubben und wegzuwaschen, und sein Atem beschleunigte, als er rascher und rascher rieb, schließlich einen Waschlappen vom Beckenrand nahm und mit Nachdruck über den einen Handrücken fuhr, doch er stieß einen Schmerzenslaut aus, ermüdet bemerkte er neue Färbungen, rote Flächen und Punkte, Verwundungen, die brannten, ebenso wie die Verletzungen, welche die bräunlichen Flecken an seiner Seele verursachten.

© Klaus Ebner, Wien 2005

e-mail an den Autor      Zur Prosa-Übersicht      Schnipsel-Hauptseite       Seitenanfang pfeil_rot



media animati.gif 4ways