Jetzt habe ich ein Nordfenster. Es ist hoch und schmal Das ist nicht gut. Ich bin nach Westen gegangen. Sucht mich nicht. Das war eine gute Idee. Niemand würde nach mir suchen. Niemand würde einen Menschen mit einem solchen Ziel suchen. Natürlich nicht. Da konnte ich sicher sein. Es war einer jener spätsommerlichen Abende, an denen man die Überreife der Natur riechen kann. Spätsommer. Ich hasse das Wort Frühherbst. Vielleicht
hat er gewußt, daß ich an diesem Freitagabend zu ihm
kommen würde. Vielleicht hat er es eher gewußt als ich.
Vielleicht ist mir der Weg aber auch so schwer gefallen, weil ich gen Osten laufen mußte. Sei ruhig, habe ich mir gesagt, ruhig. Manchmal muß man in die entgegengesetzte Richtung losgehen, um im Westen anzukommen. Aber es führt dorthin. Alles führt dorthin. Manchmal sogar früher, wenn man es nur will. Ich hörte meine Schritte auf dem Asphalt. Schritt. Herzschlag.Immer abwechselnd, im Gegenrhythmus. In dieser Nacht würde ich es wagen. Schritt. Seine Haut berühren. Herzschlag. Seine Hände würden an meinem Körper hinabgleiten. Schritt. Widerstandslos. Herzschlag.Ich würde seine halbgeschlossenen Lider küssen. Schritt. Er würde mir gehören. Herzschlag. Laute
Geräusche stören mich. Irritieren meine Stille. Ich kann
sie körperlich fühlen. Das macht mich wütend. Ich
kontrollierte mich sehr gut, um nicht noch wütender zu werden. Niemals spontan. Das kann man an mir lieben. Ich bin niemals laut. Ich schreie nie. Oh ja, das würde er an mir lieben. Meine Langsamkeit. Meine Beharrlichkeit. Langsam und stetig würde ich sein weißes Fleisch streicheln. Kontrolle. Mit heißen Händen umfaßte ich das Glas. Wasser. Nur Wasser, hatte ich gesagt und ihn damit hinausgeschickt. Das war klug, denn schließlich weiß ich, was all diese Zusätze, die man Getränken beimischen kann, im Körper bewirken. Nur Wasser. Ganz ruhig
ging ich um den Tisch herum und setzte mich in Manchmal verging die Zeit sehr schnell, ohne daß ich es merkte. Als das Glas auf dem Steinboden zerbrach, zuckte ich unwillkürlich zusammen. Ich mag es nicht, wenn etwas kaputt geht, in Stücke bricht. Alles muß ganz sein. Keine Spuren von Zerstörung. Kontrolle. Erwartung. „Ich hole ein Tuch,“ hörte ich mich sagen. In der Küche war es warm. Hier konnte ich solange bleiben. Erwartung. Verlangen. Nun durfte ich mir erlauben, daß mein Atem schneller ging. Ich öffnete die Knöpfe meiner Bluse, bevor ich zu ihm ins Zimmer zurückkehrte. Ich nahm mir Zeit, um für die Blumen, die ich mitgebracht hatte, eine Vase zu suchen. Weißes Porzellan. Ich liebe es, wenn Dinge, die man zusammenstellt, Ton in Ton zueinander passen. Ineinander zerfließen. Die schweren Lilienkelche hingen über den Rand des Gefäßes, als wollte der Nektar jeden Moment heraustropfen und die Blüten leer zurücklassen. Seine Umarmung nahm mir den Atem. Ich konnte nicht aufhören, mit meiner Zunge seine kühlen, weichen Lippen zu lecken, bis sich sein Mund öffnete, und ich ihn tiefer küssen konnte. Ich fühlte seine ebenmäßigen Zähne, deren Perlenreihen ich auseinanderdrängte, während er schwer auf mir lag. Verlangen. Wie sehr hatte ich mich immer danach gesehnt, seine Haut auf meinem Körper zu spüren. Ihn schwach werden zu wissen. Seinen Widerstand zu brechen, bis endgültig ich alle Kontrolle besaß. Wollust. Seinen Blick ins Leere zu genießen, wenn ich auf ihm war. Die bleiche Haut seiner Taille zu küssen. Mein Körper gebärdete sich wie wahnsinnig, während er ganz atemlos dalag. Niemals sollte das hier vergehen. Kein Morgen. Ich legte seine Hände auf meine Brüste und fühlte begierig, wie sich meine Brustwarzen unter dem sanften Druck des Gewichts aufrichteten. Natürlich wußte ich, wie man das machen konnte. Ich weiß mit ungewöhnlichen Situationen umzugehen. Jemand wie ich muß wissen, wie man sich hilft. Mit Geschick und der Gewißheit von endgültigem Besitz. Ich schrie nicht, als der Lustschmerz meinen Körper erfüllte. Ein wenig stöhnte ich vielleicht. Aber nicht laut. So lange hatte ich mir diese Nacht gewünscht, mir diesen Augenblick vorgestellt, in dem er mir endlich ganz gehörte. Die Bilder
meiner Träume verblaßten bereits gegen das, wasich fühlte. Als ich kam, war es mir, als sähe
ich ein Lächeln auf seinen Lippen. Ich stöhnte noch
einmal, preßte ihn an mich und fühlte seinen Atem
entweichen. Nicht viel. „Ja, ich habe es getan. Er hat es gleich getrunken, das Gift. Gierig und tief wie der Himmel in der Nacht. Kaum fünf Minuten, nachdem er mich in seine Wohnung gebeten hatte.“ Ein Fenster nach Westen. Sie haben es versprochen, wenn ich gestehe. ___________________________________________
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