media animati.gif 4ways
Schnipsel

Beerdigung

Orgelmusik, Klage und Wehleid hängen in der kalten Kirchenluft. Eine Schale mit zwei züngelnden, sich bekriegenden Flammen. Beileidskränze und der polierte Sarg. Stille Gebete, dies ewige „Amen".

Tote Tränen sickern in schneeweiße nun vom Tod benässte Taschentücher.

Ja, wir sind die unglücklich Überlebenden. Wir, die in dieser Kapelle sitzen, mit kalten Füßen, der erstickenden Musik ‘lauschen‘, den Sarg betrachten.

Ich kann nicht beten unter all den stillen Menschen, kann NIE beten, denn zu wem? Ich bin ganz weit weg. Das Leben kommt mir so vergänglich vor und mein ‘Ich‘ steht mitten in dieser tot-traurigen Predigt auf und läuft aus diesem Park der Toten, läuft fort auf die Straße, dort wo die Autos sind, wo der Alltag die Übermacht hat. Höre die Motoren, das Klingeln der Straßenbahn, renne immer weiter bis zum Horizont und falle über seinen Rand hinaus in die nicht vorhandene Unendlichkeit und bin letztendlich wieder in dieser widerlichen Gottes andächtigen Kirche.

Ich komme mir wie Satan vor, wie ich mich so betrachte mit meinem starren Mund, die Augen hinter der verspiegelten Sonnenbrille. Ich mache mir Angst in diesem langen, schwarzen Ledermantel, bin ich Satan, der nun die Tote bei sich trägt? Ihr Leben in sich trägt wie ein Seelenräuber?

Die Flammen schlagen aufeinander ein, peitschen sich mit ewig vergänglichem Leben. Die so Gott erfüllten Worte sind verstummt, die Orgelmusik setzt erneut ein, füllt mich randvoll Hass. Und die Tote schlägt vor Begeisterung in meiner Brust Purzelbäume. Sie erinnert mich an damals, an jene Zeit, wo ich noch nicht wirklich sprach, aber schon verstand, erinnert mich an die Augenblicke, wo ich in ihrer Dachwohnung hinter einem Sessel kauerte und sie mit meinen Eltern über dies und das stritt!

Doch jetzt schlägt sie muntere Purzelbäume in meiner Satansbrust, während wir hinter ihrem Sarg her marschieren, voller Würde, voller Trauer, voller Alleinsein, doch auch als sie lebte, waren wir nicht minder alleine.

Ich sehe nun in diesem Garten der Toten Gedanken, der Toten Gefühle, der Toten Worte, auch das Loch, das für sie, ihren polierten Holzsarg und lauter vergänglichen Blumen ausgehoben worden war, und in das sie nun ein paar mit Schnurrbärten und ‘Hitler-Mützen‘ geschmückte Männer abseilen, hinunter auf Gedeih und Verderb, doch warum tun sie das, die Tote schlägt doch muntere Purzelbäume.

Noch ein paar nicht allzu tröstende Worte der biederen Pfarrerin und die ausgegebenen Blumen der immer zu guten Kirche werden hinuntergeworfen, prallen auf das polierte Holz, irritieren den Rhythmus der Purzelbäume-Schlägerin. Noch eine Schaufel Erde, Amen.

Die Pfarrerin tritt in bösem Vertrauen nah an meine Seite; ich merke, wie sie versucht einen Blick hinter die verspiegelten Gläser meiner Brille zu werfen, das arme Kirchenmäuschen. Sie will mir ihr Beileid kundtun. Doch ich wende mich,

geschickt wie eine Schlange, aus ihrem mitleidig, angsterfüllten Blicken, schenke ihren verhätschelnden Worten nicht mein böses Ohr.

Wir treten den schweigenden, im Gespräch vertieften Rückzug an, laufen den Weg nun ohne Hitlermützen und Sarg zurück. Die Sonne bricht durch die Wipfel der Toten Bäume, wirft Schatten über uns, wie eine manchmal von Sonne beschienene Trauer-Decke.

Wir kommen dem Tor-des-Lebens näher, laufen an der Kapelle-der-kalten-Füße vorbei. Der Kies knirscht unter meinen rosafarbenen Tanzschuhen. Und Autolärm, oh heiliger Autolärm verschlingt uns mit der Sekunde, in der wir den Garten verlassen, durch das Tor treten.

Ich bin frei. Nun sind es wirkliche Abgase, wirkliches Klingeln der Straßenbahnen, nur der Alltag ist noch ferner denn je. Ich spüre noch die letzten tränennassen traurigen Blicke auf meinen Schultern, doch ich drehe mich nicht um, lass die Tote Purzelbäume in meiner Brust schlagen und bin somit der erste Satan mit einem Purzelbaumschlagenden ‘Ersatz-Herz‘.

Die Autotür schlägt hinter mir zu und Trauer steht außen vor, denn Trauer hat nicht den Schlüssel zu verriegelten, trauerausgrenzenden Autotüren. Der Motor wird angelassen und die Trauer bleibt.

(am 10.4.2000 nach der Beerdigung ihrer Großmutter von Laura Rumich)


Aus Laura's Tagebuch       Rezi-Übersicht      Schnipsel-Hauptseite