Obwohl Therese Neumann (1898-1962) schon zu
Lebzeiten auch in katholischen Kreisen höchst umstritten war,
verkündete der Regensburger Diözesanbischof Müller
2005 die Mitteilung der Kongregation für Selig- und
Heiligsprechungsprozesse des Heiligen Stuhls, dass der
Eröffnung des Seligsprechungsprozesses für Therese
Neumann “nichts im Wege stehe” (nihil obstat).
Denn ihre großen Kritiker wie der Regensburger Pfarrer Josef
Hanauer, aber auch der ehemalige Vorsitzende Richter am Landgericht
Mannheim, Dr. Wolf Wimmer, sind inzwischen tot. Jedoch hatte
Letzterer bereits 1976 im "Kriminalistikheft" unter der
Überschrift „Psychologie des frommen Schwindels"
seine Skepsis bezüglich der Stigmata der „Resl“
als „Horrorsymptome, wie sie akut Hysterische gerne
demonstrieren" zusammengefasst.
Doch ob die Resl nun offiziell selig gesprochen wird oder nicht -
eine Volksheilige ist sie längst. Dazu mag auch beigetragen
haben, dass sie von manchen, nicht nur katholischen Anhängern
zur zentralen Figur („Kraftquelle“) der kaum bekannten
Widerstandsgruppe „Konnersreuther Kreis“ hochstilisiert
wurde. Tatsächlich scheint die Neumann im November 1927
bemerkenswerten Einfluss auf Fritz Gerlich gehabt zu haben, den
damaligen Chefredakteur der
Münchner Neuesten Nachrichten. Der
Journalist hatte nicht glauben wollen, was in seinem eigenen Blatt
über die wundersamen Ereignisse in dem oberpfälzischen
Marktflecken geschrieben worden war. "Um dem Schwindel auf die
Spur zu kommen", reiste Gerlich nach Konnersreuth, kam als
Bekehrter zurück und gründete mit dem Journalisten Pater
Ingbert Naab angeblich auf Resls Initiative hin die
antifaschistische Wochenzeitung „Der Gerade Weg“. Die
wurde 1933 verboten, Gerlich als „einer der ersten
Märtyrer des Dritten Reichs“ ein Jahr später im KZ
Dachau erschossen.
Dass die Neumann bei der ganzen Sache trotz Gestapo-Untersuchung,
ihrer Verweigerung des Hitlergrußes und abfälliger
Bemerkungen ungeschoren davonkam, sei auf Hitlers
Abergäubigkeit und seine Angst vor der geheimnisvollen Macht
der Resl zurückzuführen.
Vor diesem Hintergrund entwickelt die in Turin lebende Germanistin
und Autorin Sabine Scholz, bekannt als Erbhüterin des
Hegel-Gegenspielers Max Stirner (Roman
„Die Sonne hat keinen
Eigentümer“) den Doku-Biographiemix „Böser
Bub, ich bet, dassd in die Höll kommst“, in dem das
Leben der Neumann und die Jugendjahre des Erlanger Logikers und
Philosophen Josef Wolfgang Degen in mehreren Perspektivwechseln
zusammengeführt werden.
Drehort beider Erzählstränge ist das Oberpfälzer
Dorf Konnersreuth mit dem katholischen Klostergymnasium Fockenfeld,
das auf Initiative der Therese Neumann 1955 als
Spätberufenenschule des Salesianerordens gegründet und
an der Wolfgang Degen bis zum Abitur 1967 unterrichtet wurde.
Dort
kam es auch zur persönlichen Begegnung des Schülers mit
der Stigmatisierten ein paar Wochen vor ihrem Tod. In dieser
titelgebenden Schlüsselszene 'verflucht' die laut
Zeugenaussagen heimlich beim Essen Beobachtete den Degen nach
dessen diesbezüglicher investigativer Nachfrage: „Du
böser Bub, ich bet, dassd' in die Höll
kommst!“
Damit wird bei dem Jugendlichen „eine tiefe religiöse
Bestandsaufnahme ausgelöst“, die auch Initiation
für die spätere existenzphilosophische Auseinandersetzung
zwischen „dem Degen“ und Sabine Scholz ist - nicht nur
während ihrer Liebesbeziehung, sondern auch als
Erzählrahmen des Buches und roter Faden in ihren
spärlichen, aber regelmäßigen Kontakten
danach.
Der Zweifel aber war schon vorher angelegt in dem Ministranten
Wolfgang, und der Grund dafür taucht gleich zweimal wortgleich
in Degens autobiographischen, jedoch aus der 3.-Person-Perspektive
geschriebenen Jugenderinnerungen im zweiten Buchteil auf:
„Aber als ihn seine Eltern darüber aufklärten, dass
es weder das Christkind noch den Nikolaus gibt, war er sehr
verwundert, warum es dann ausgerechnet den lieben Gott geben
sollte.“
Aus dieser Skepsis entwickelt sich Degens Vorhaben, Priester zu
werden, um die Existenz des christlichen Gottes mit logischen
Mitteln zu widerlegen. Und wird zur Grundlage seiner späteren
rationalistisch-naturwissenschaftlichen Position, mit der er in
Gesprächen mit der 'Platonikerin' Scholz deren Idee
vom „Eros als Synonym für Kreativität“ mit
der Frege'schen „Erotik der mathematischen Formeln“
begegnet.
Psychologische Selbst-Interpretationsfreude kommt hinzu, wenn sich
„der Degen“ nach seiner sexualfeindlichen
katholisch-kleinbürgerlichen Sozialisation in der bairischen
Provinz der 1960er Jahre das erste Mal verliebt, und zwar als
echter 'Freud-Klassiker' „in eine Frau, die mit
mehreren Männern was hatte. Sie war mit den Neumanns verwandt
und hatte die Resl eines nachts in der Speis gesehen.“
Für den jungen Wolfgang eine weitere Bestätigung seiner
Vermutung, die Neumann sei eine Simulantin und Scheinheilige. Und
obwohl über diese Jugendverliebtheit nichts weiter
erzählt wird, symbolisiert sie Degens Emanzipation vom
jugendlichen Glaubenszweifler zu einem erwachsenen
„Bösen Bub“, der die Konzepte von Gott und Teufel,
Himmel und Hölle mit dem "moralischen Beweis" der Theodizee und
der Absurdität der katholischen Lehre widerlegt –
für ihn ist „die Nichtexistenz von theologischen
Entitäten doch überhaupt kein Verlust“.
Diese Polarität von Gottes- und Wunderglaube versus
Antitheismus und dem scheinbar Normalen, die Frage nach
der Realität und Wirkung der Existenz von Nicht-Physischem
zieht sich als dialektische Reflexionsebene durch das ganze,
anekdotisch strukturierte und unprätentiös geschriebene Büchlein; in dem Sabine Scholz aber, wie in ihren meisten anderen, auch von einer Herzensangelegenheit
erzählt: von einer Zweier-Beziehung, in der sich über
Jahre hinweg philosophischer Diskurs und erotische Anziehung nicht
ausschließen – allerdings nicht ohne im letzten
'Liebesgespräch' mit „dem Degen“ explizit darauf hinzuweisen, dass ja auch
Nietzsche ausgerechnet in Turin verrückt geworden sei ;-)
Jedenfallls hat, wie mir die Autorin kürzlich im 'realen Leben' versicherte, "der Degen" noch Einiges vor, um die Seligsprechung der "Resl" zu verhindern…