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Schnipsel

Im Irgendwo

Ich ziehe die Spieluhr auf, und mit jedem Ton, jedem Klang ist mir, als verließe ich diese Welt, als gleite ich ab ins Irgendwo.

Ich sehe Räume, aus deren Wänden Bäume wachsen, ihre Äste wuchern, die Blätter so grün. Etwas unsicher wandle ich durch dieses Neue Nichts. Höre eine Uhr laut ticken, doch sehen kann ich sie nicht. Wandle durch einen Raum mit ‘Charakter‘.

Weicher Sand unter meinen Sohlen, höre das Rascheln von bunten Papierblumen, die sich dem leichten Wind beugen. Die Musik plätschert, wie ein Bach, der mich zu seiner Quelle, seinem Ursprung leiten will. Sein blaues Wasser sprudelt an den Papierblumen vorbei, hinterlässt glitzernde Wassertropfen auf den grünen Blättern der Bäume, spielt mit dem weißen Sand, lässt ihn treiben, begräbt seine Körner einen Augenblick unter den Wassermassen, die sich aufbäumen wie ein wildes Pferd. Und ich folge ihm, höre sein Glucksen; ein kleiner blauer Fisch lässt sich treiben, ebenso wie sich meine Seele treiben lässt von diesem Klang.

Sonnengelbe Tücher schweben von der Himmel-Decke dieses Raums, werden zu gelben Vögeln und fliegen durch ein weit geöffnetes Fenster hinaus in die Welt, in unsere Graue-Welt, um ihr ein bisschen von diesem Leben zu geben, welches es hier im Irgendwo gibt.

Der Bach verliert sich, ergießt sich in alle Richtungen und tropft durch die Holzlatten am Boden, in dicken schweren Tropfen, unser Regen.

Ein Bett, an dessen Pfosten sich Ranken empor schlängeln, weiter und weiter bis zur Decke und dort sich zu einem grünen Teppich zusammen finden, an dem federleichte hellblaue Tücher befestigt sind, die sich wie kleine Wellen des Meeres kräuseln.

Ebenso wie das Wasser des Bachs durch die Latten tropft, rieselt auch der weiße Sand wie Puderzucker auf die ‘Graue-Menge‘ hinab, die genauso grau wie ihre Welt ist.

Ich gehe auf das sich ins endlos erstreckende Bett zu, das unaufhörliche Ticken der Uhr wird lauter. Ich setze einen Fuß vor den anderen, unter mir knarren die tropfenden Latten, der Puderzucker-Sand knirscht unter meinem Schritt. Ich sehe nun die Uhr, wie sie auf den weichen Kissen ruht, beuge mich nach vorn, will sie packen, sie fest halten, setze mich auf das weiße Laken, die Spieluhr wird lauter, schneller, das Ticken wird lauter und schneller. Ich fahre mit den Fingerspitzen über das Zifferblatt der Uhr, das Ticken wird unerträglich, einem grellen Brüllen gleich, die Uhr öffnet ihren Schlund-der-Zeit.

Nun dreht sich alles, das Bett, die Ranken-Decke, in der Ferne die Papierblumen, die Tropfen prasseln, der Sand rieselt und das weiße Laken tut sich auf, wird zu einer Wolke, durch die ich hindurch falle, lasse das Ticken hinter mir, höre die Tropfen nur noch leise und die Spieluhr verstummt, ich liege in der Grauen Welt, und nur noch mein Herz rast laut, ich greife die Spieluhr und ziehe sie auf.

(An die Menschen, die auch in einer anderen Welt leben!

(von Laura Rumich am 19.12.1999)


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