Schnipsel

Vom Schreiben-Lernen und von Literaturinstituten

Glosse von Werner Friebel


Nehmen wir einmal an, Sie wollen Herrgottschnitzer werden. Dann empfiehlt es sich, eine der bairischen Holzbildhauerschulen, beispielsweise gleich bei uns ums Eck in Oberammergau, zu besuchen und das gediegene Handwerk der Schnitzerei so weit zu erlernen, dass Sie sich mit ihren Arbeiten in der Öffentlichkeit sehen lassen können. Und nehmen wir jetzt einmal an, Sie wollen Verfasser von Geschichten oder Gedichten werden, die in der Öffentlichkeit mit beifälligem Kopfnicken goutiert werden. Dann können Sie sich die handwerklichen Aspekte der Schreiberei in einer Schreibschule oder in einem unserer Literaturinstitute, etwa in Hildesheim oder Leipzig, vielleicht so weit aneignen, dass gelegentlich was davon gedruckt wird. In beiden Fällen sollte zumindest soviel handwerkliches Geschick bei rauskommen, wie man's von einem gelernten Kunsthandwerker erwarten darf. So eine Ausbildungsstätte kann also durchaus hilfreich sein, denn meistens mangelt es dem Schnitzer ja nicht an Holz (auch wenns nur Weichholz ist) und dem Schreiber nicht an Stoff (auch wenns bei manchem nur Gesabber ist), doch Form & Stil bedürfen erstmal einer Führung durch den Meister (auch wenns manchmal nur ein selbsternannter ist). Und in beiden Fällen scheint eine Berufung auf eine höhere Instanz die intrinsische Wahlmotivation zu beflügeln; beim Herrgottschnitzer dürfte die klar sein, der Schreiberling dagegen findet im Wort Hölderlins "was bleibet, aber stiften die Dichter" sein Unsterblichkeitsmantra - um auf den Schwingen des Pegasus in den ewigen Dichterhimmel zu reiten, nehmen viele gern allerlei Mühen und Kosten in Kauf, wenn sie sich's leisten können.

Nun sind Schreibschulen ja nix Neues, schon die Keilschriftler haben neben ihrer Meißeltechnik auch ihr erzählerisches Know-How weitergegeben (was in der Folge zur Entstehung einer Reihe literarischer Werke, bekannt als Gilgamesch-Epos, führte); das hochentwickelte Story Telling der Alten Ägypter in den Hieroglyphen („Schrift der Gottesworte“) wäre ohne formale und stilistische Traditionen ebenso undenkbar wie der festgelegte Ablauf des antiken griechischen Theaters. Schon immer hatten Schreibnovizen also Einiges zu lernen, wobei die Anforderungen an Menge und Diversifizierung von Textproduktionen über die Jahrtausende immens stiegen. Um deren Bewältigung zu erleichtern, begann man gegen Ende des 19. Jahrhunderts an amerikanischen Universitäten Seminare anzubieten, in denen Studenten praktische Schreiberfahrungen sammeln sollten. Schon damals (!) erschienen begleitend dazu erste Handbücher unter dem Begriff "Creative Writing", was in Europa allerdings lang kaum wahrgenommen oder höchstens belächelt wurde. Ist denn der Begriff nicht nur eine Tautologie, als könne es auch ein Schreiben ohne oder vor der Kreativität geben? Schreiben, also das Klären, Ordnen und Komprimieren von Gedanken & Reflexionen, sei doch immer ein kreativer Akt, wenn auch von unterschiedlicher Intensität. Doch mittlerweile scheint man auch bei uns dem 'creative' als Vor-Satz zu allem Möglichen nicht mehr abgeneigt zu sein, nicht nur beim Schreiben als Abgrenzung zum copy&paste, sondern als Selbstverwirklichungs-Etikett für jede Art von individueller Tätigkeit, von der Google-Suche bis zum Rasenmähen.

Allerdings verstehen die in den letzten Jahren auch bei uns entstandenen Schreibinstitute ihre Angebote zum "kreativen Schreiben" in einem weiteren Sinn: als Vermittlung 'höherer' Fertigkeiten, zu denen neben dem Spiel mit der Sprache auch Methoden der Ideenfindung, Therapie und autobiografische Selbstreflexion sowie eine umfangreiche Pragmatik des Schreibens in Literatur, Theater, Film und Wissenschaft gehören. Und nicht zuletzt eine (in den USA schon lange vollzogene) Überwindung der Grenzen zwischen ‚hoher‘ und ‚niedriger‘ Kunst, den Einstieg in ein literarisches Beziehungsnetzwerk und - im Preis inclusive - zumindest eine Handvoll Kritiker & Claqueure.

Wie es nun im Dunstkreis so eines Instituts zugeht, davon kann natürlich ein Insider am besten berichten. Das hat kürzlich der Jung-Autor und Journalist Florian Kessler, selbst Absolvent der Hildesheimer Einrichtung, getan, indem er in einer Glosse der ZEIT unter dem Titel "Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn!" das dortige "Milieu" der Nachwuchsliteraten aus gehobener Mittelschicht als saturiertes, family-gesponsortes Brav-Schreibertum karikierte. Wer aber nun denkt, eine Investigation in diesen Untiefen des deutschen LitBizz müsse sich in einer saftigen Bernhardeske entladen, kommt nicht ganz auf seine Kosten, denn Kessler bleibt beim feuilletonistisch korrekten Augenzwinkern, recht nett & lustig zu lesen. Man hätte diese Anekdote zu den kleinen Aufmüpfigkeiten am Rande des business-as-usual legen können, doch Kesslers Stichelei hatte den Nerv anscheinend doch tiefer getroffen. So nahms der taz-Autor Enno Stahl in seinem Beitrag "Wer schreibt, der bleibt" zum Anlass für die mit schöner Regelmäßigkeit gestellte Diagnose: "Die Funktions- und Entscheidungsträger des literarischen Feldes, Autoren, Lektoren, Feuilletonisten, Angehörige von Preisjurys, Leiter von Literaturhäusern, sie bewegen sich alle in ein und demselben hermetisch abgeschlossenen gesellschaftlichen Teilsystem. Über Habitus, familiäre Kontakte und eigenes Netzwerken ist es ihnen gelungen, direkt nach dem Studium, ohne nennenswerte Lebenserfahrungen außerhalb ihres eigenen Sozialverbunds, ihr Pöstchen im Betrieb zu ergattern." Ach geh, wer hätte das gedacht...

Ja, und dann gabs ne zünftige Repliken-Runde in der Süddeutschen, im Freitag, wieder in der ZEIT, in diversen Lit-Blogs, sogar Die Welt und die HUFFINGTON POST plapperten mit, bevor Florian Kessler, diesmal in der Süddeutschen, resumierte: "'Brav' nannte ich in meiner Polemik die jüngeren deutschsprachigen Autoren. Jetzt weite ich das aus. 'Brav' erscheint mir ein Betrieb, der seine Debatten betriebsscheu führt." Na ja, so 'brav' war zumindest die Debatte nicht, Herr Kessler, und so Manches musste auch wieder mal gesagt werden, ob's nutze oder nicht. Schließlich hängt es nicht allein von den Kreativen des Literaturbetriebs ab, welche Literatur sich an die Frau bringen lässt; so wenig wie der Herrgottschnitzer seine paar Motive variieren kann, ohne die Gläubigen zu verschrecken, so wenig Originalität und Qualitätsanspruch kann Autor sich erlauben, ohne die Leser intellektuell zu brüskieren. Hauptsach', das Handwerk stimmt im Laden, wo an der Kundenfront das gefällige Mittelmaß angepriesen wird. Hauptsach', es bleibt im Rahmen der Nacherzählbarkeit, wenn die immergleichen Damen & Herren in TV-Literaturkränzchen und auf blauen Sofas ihre mittelmäßige Lesekompetenz zu Markte sprich Einschaltquote tragen. Auch Literaturinstitute dürfen also an die Leser denken. Wer sich allerdings zur Ausbildung und zum Aufbau eines Beziehungsnetzwerks dort bewirbt und über die dafür nötigen finanziellen und psychischen Ressourcen verfügt, sollte sich, sofern er's mit dem Schreiben ernst meint, dieses aus Ludwig Hohls Notizen klar machen: "Das gut Geschriebene kann man nicht erklären aus dem einfachen Grund, daß es schon ein höherer Grad des Erklärenden ist."

Und daraus mag er folgern, dass es sehr wohl eine hilfreiche Methode gibt, an seinem eigenen Schreib-Denk-Stil zu arbeiten, und zwar in diesen zwei Stufen:

1) viel gut Geschriebenes lesen, lesen, lesen und danach

2) die Beherzigung von Hohls Ratschlag: "Die ganze Kunst des Schreibens besteht darin, dass man kein Wort verwende ohne volle Verantwortung."

Ob's dann schon für einen fetten Literaturpreis langt, ist aber nicht garantiert, denn wie ihr in folgendem Beitrag seht, spielen noch einige andere Faktoren eine Rolle:

aus "Philosophische Schnipsel"
(incl. Kommentare)


Werner Friebel (Schongau, 2014)

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