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Schnipsel

Nutzlosigkeit

Ein vereinsamter Mann, dessen Wohnung über die Jahre immer schmuckloser, nichtssagender und unpersönlicher geworden war, betrat einen alten, verstaubten mit dunklem Eichenholz verkleideten Wänden ausgestatteten Laden. Ein dämmriges von Kälte trübes Novemberlicht fiel durch die kleinen beschlagenen Fenster. Der Mann sah sich um; die Eichenholzwände schienen den kleinen Laden zu erdrücken, der Boden knarrte leise unter seinem Schritt. Er schlug sich bis zur hintersten Ecke des Ladens durch. Dort stand eine blaue vom Alter geknickte Stehlampe. Er nahm sie und trug sie vorsichtig mit klammen Fingern zu dem Verkäufer, dessen Gesicht von abertausend Falten zerfurcht einer misslungenen Infrastruktur glich. Dort bezahlte er und eilte schnellen Schrittes nach Hause.
Er betrat die Wohnung und stellte die blaue Stehlampe mitten in das fast leere Zimmer. Er sah sich noch einmal im Schutz der Dunkelheit um. Dann steckte er die Lampe in die seit Jahren nicht benutzte Steckdose. Und das Zimmer ertrank in gleißendem Licht, die ihm so liebe Dunkelheit trat ihren Rückzug an. Er kniff die Augen zusammen, so viel Licht. Das Zimmer war schmuckloser, nichtssagender und unpersönlicher als im Schutz der Dunkelheit. Er konnte es nicht sehen, diese Leere. Er taumelte zur Steckdose, er wollte sich befreien von der Wahrheit, diesem Realismus, der ihm seine Nutzlosigkeit entgegenstreckte, der es laut heraus schrie, der nur im Schutz der Dunkelheit gebannt war.
Er riss an dem Stecker, doch der rührte sich nicht.
Wut, Angst, Machtlosigkeit zerrten an seiner Seele, welche in den Jahren der Versteckspiele immer kleiner und unbeholfener geworden war. Sie wehrte sich mit aller Kraft gegen das Licht, sie wand sich, pulsierte.
Er riss nun mit beiden Händen an dem Stecker und mit jeder Minute wurde ihm bewusst, wie aussichtslos es war. Er würde sich nie wieder in der warmen, für ihn so einfachen Dunkelheit, verstecken können.
Er ließ den Stecker los und drückte sich fest gegen die kalte Wand. Er hatte die Lampe gekauft, um die Wohnung erträglicher zu machen, damit sie in der Dunkelheit persönlicher schien. Doch nun war mit der Lampe auch das Licht eingekehrt und mit ihm all das, was er all die Jahre nicht sehen wollte.
Die Nutzlosigkeit.

© Laura Rumich (15.11.2001)


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