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Schnipsel

So schweben wir dahin

So schweben wir dahin, zwischen Raum und Zeit.

Es ist eng, nicht warm – nicht kalt. Stewardessen wuseln durch die Sitzreihen. Sie sind schneller als langsam und doch zu langsam. Immer ein verständnisvolles, schon fast nachsichtiges Lächeln auf den Lippen, doch der Schein trügt, wohin packen sie ihren Ärger, ihren Unmut? Ihr Leben scheint so weit fort, so unwirklich. Es ist, als seien sie auf Lächeln und "heile Welt" programmiert. Ihr makelloses Make-up, diese Uniformen, all das zerschmettert den Begriff: Individuum. Einheitliche strikte Verhaltensmuster, das Vorbild der ‘perfekten Frau‘? Ist es Das, was die Stewardess verkörpert?

Die kleinen an der Decke montierten Fernseher spulen ein Bild nach dem anderen ab. Das bunte Flimmern ist nicht aufdringlich, nicht belästigend, es ist einfach ein Teil dessen, ein Teil der Gesamtheit. Man hat gelernt, damit zu leben. Wie man es so oft schon gelernt hat, nur man verlernt das nicht Angeeignete, das Ursprüngliche.

Und so schweben wir dahin, in einem Zustand von andauernder Langeweile. So viele Menschen auf so einem engen Raum, eigenen Willens eingepfercht. Zwischen Schlafenden und Wachen die sture Anwesenheit der Vorfreude. Beschäftigt mit traumlosem schlafen, Kinder unterhalten, Musik hören, lesen. Sie ‘verschwenden‘ keinen Gedanken an das ‘Hier und Jetzt‘. Was machen sie nur? Tiefes Schwarz, unter uns leuchten vereinzelte Lichtpunkte wie die Sterne der Ewigkeit, doch schon morgen bei Sonnenaufgang werden sie erlöschen, von Menschenhand, versteht sich.

Mein Gott, wir regulieren, manipulieren so vieles, lassen der Natur nicht die geringste Chance, uns zu beweisen, dass sie uns nicht braucht. Die Angst des Nutzlosen treibt uns zu dieser Übermacht. Wie sind rastlos vor Furcht, wir können gleichgültig sein, beweisen uns Tag für Tag aufs neu als lebensfähig, sterbensfähig.

Die Motoren rattern sanft, kleine Luftblasen steigen an die vibrierende Oberfläche des Wassers, es schüttelt sich in dem porösen Plastikglas, als ob es die fließende Freiheit mit diesem Tanz sich erhoffte. Der Leichnam eines verwesenden Apfels liegt ohne jede Beachtung, ist gleichgültig. Leises Schnarchen, so viele Gerüche, so viele verschiedene Menschen mit einem gemeinsamen Ziel. Glühende Zigaretten, Qualm, Asche. So schweben wir dahin, voll mit Träumen, vielleicht Illusionen.

Sich neigende Sitze bedrängen, rastlose Toilettengänge, monotone Klima-Anlagen: Ja, Genie und Wahnsinn liegen nah beieinander, sehr nah. In jeder Reihe Rascheln, Gemurmel. Die aufkommende Müdigkeit legt sich wie eine Decke über die Sitze. Der Schlaf rückt näher mit seinem Heer, bald wird er uns übermannen. Das Blättern, Gemurmel, Rascheln wird verstummen und Vereinzelte werden die Einsamkeit der Dunkelheit spüren.

geschrieben am 2.10.1999 während eines Nachtflugs von Laura


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