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Schnipsel

Sommernachts-Tod

Die Sonne scheint warm, Lachen hängt wie gezuckerte Erdbeeren in der Luft und Liebe legt sich drückend schwer auf die Herzen; alte Lieben, vergessene Erinnerungen glänzen wie Tau in den Augen der Menschen.

Der Sommer naht!

Die Schatten heben sich schwarz von dem strahlenden Boden ab. Kein Wind geht und die Luft, voll von Lachen, Gesang, Tränen, Liebe, Schatten steht still! Der Sommer naht und mit ihm kommt die Gedankenlosigkeit.

Und ich träume einen Sommernachts-Traum:

Ein Mädchen in einem weißen Kleid liegt in einem blau durchfluteten Raum auf einem von Morgendämmerung grauen Himmelbett. Ihre blonden Haare wirr um das schlafende, träumende Gesicht. Matte Lichtsäulen fallen durch die Ritzen des Dachgebälks, durchbrechen ihren in Ruhe gebetteten Körper. Es ist völlig still, nur ihr leiser Atem hängt schwer und süß in der dämmrig, blauen Luft.

Die Holztreppe knarrt leise. Böses Knarren, tötendes Knarren. Das Knarren kommt näher und die schwere, nur angelehnte Tür wird langsam, vorsichtig aufgestoßen.

Ein Mann, gehüllt in graue Schatten, taucht ein in den leisen, süßen Atem des schlafenden Mädchens. Bleibt einen Augenblick andächtig stehen und schließt die Augen, er riecht sie, hört sie. Seine goldene Taschen-Uhr tickt ruhig. Er ist der Sommer. Ein Lächeln des Wohlwollens, ein Lächeln, das tot, auf seinem Gesicht schon vor langem erstarb, und doch noch immer erkenntlich auf seinen undurchsichtigen Zügen haftet, streift wie ein wendiges Tier hinter seinen geschlossenen Augen an Erinnerungen, vor langer Zeit, vorbei.

Er hat nicht viel Zeit. Er öffnet langsam seine in Kälte getränkten Augen. Da liegt sie. Er sieht die golden glitzernden Lichtpunkte, welche ihren Körper zieren.

Vorsichtig tritt er von der halb offenen Tür weg. Sein Schritt bricht die Stille, bricht den süßen Atem, zerbricht das Herz der Morgendämmerung. Der Sommer ist eingekehrt. Er steht nun dicht neben ihr. Schlaf lässt ihre dichten Wimpern, welche ihren Lidrand kränzen, zucken. Die Zeit verrinnt, die Uhr tickt. Die Lichtsäulen werden länger, die Lichtpunkte großflächiger, das Licht rinnt über ihr Gesicht, durchdringt sie, durch und durch, ihre leicht gebogene Nase zieht das Licht tief in sie hinein, tief und tiefer bis ihre Seele leuchtet.

Er beugt sich über sie; das Licht stößt in seinen Rücken wie stählerne Pfeile. Der Sommer legt Schatten über sie. Kälte kehrt ein, sie fröstelt im Schlaf. Er zieht sein, im Licht glitzerndes, Messer, vorsichtig fährt er mit der scharfen Klinge von ihrer Stirn hinab über ihren Körper; der leichte, weiße Stoff ihres Kleides reißt. Da liegt sie entblößt, sie ist sein, sie gehört ihm.

Der Druck der Klinge wird stärker, in dünnen Rinnsalen läuft ihr Blut über ihren bebenden Bauch, sammelt sich in ihrem kleinen, duftenden Bauchnabel.

Er stößt das Messer tief in sie hinein. Ihre großen Augen öffnen sich, wie die eines erschreckten Rehs, ihrem roten Mund entgleitet ein klirrender Schrei, welcher sich in tausend Scherben in sein Gesicht ergießt. Langsam schließen sich ihre tiefen Augen, ihre Seele hört auf zu leuchten und die Träume ihres Schlafes entschwinden. Sie stößt das Leben mit ihrem letzten Atemzug aus, ein letztes Mal, honigsüß. Er sieht sie an. Der Schlaf, der noch zuvor auf ihrem Gesicht ruhte, ist nun Angesicht des Todes gewichen. Das leichte Rot ihrer Wangen, die Licht einsaugende Nase, die tiefen, sich wohl nun nie wieder öffnenden Augen, ihr blondes Lockengewirr, all das ist nun tot, wie vergänglich sie doch ist!

Das Blut hat die Fetzen ihres Kleides rot gefärbt. Langsam nimmt das Licht überhand. Er zieht die Klinge und streift andächtig die letzten Tropfen Leben ab. Es ist vollbracht.

Er richtet sich auf; das Licht, das eben noch auf seinem Rücken ruhte, ergießt sich in einem goldenen Strom über ihren geschundenen Leib. Ein letzter Blick, er umarmt sie mit den Augen. Adrett zieht er seine goldene Taschen-Uhr. Es würde Zeit, sein knarrender Schritt, die knarrende Tür, die knarrende Treppe. Der Sommer war ihr Tod.

am 5.5.2000 von Laura Rumich


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