Der Traum

Meine Liebste,

du scheinst ebenso zu lieben wie ich es tue, doch ich vermag es nicht diese Liebe eindeutig in Worte zu formen, da ich sie mir nicht eingestehe, es war eine schmerzende, rückhaltlose Liebe, die ich niemals vergessen werde.

Da sie einmalig war, mein Gott, wie habe ich ihn geliebt, ich habe alles für ihn getan, nur um ihn glücklich zu machen und hab mich selbst so aufgegeben, mich verraten. Er ist mein schmerzender Stern, den ich in mir trage, doch trotz seines Leuchtens ist er der Teufel, er hat mich langsam meiner Selbst beraubt!

Ich wünschte, ich könnte alles rückgängig machen, vielleicht ihn sogar vergessen, doch es würde zu sehr schmerzen, ihn in Vergessenheit geraten zu lassen, denn ich habe einen Traum, einen Traum, der mich immer verfolgt:

Ich sitze in einem blauen Raum, an einem kalten Eisentisch, vor mir ein Glas mit Wasser, das sich an den Wänden der Unendlichkeit, der Tiefe des Glases bricht, ich sehe durch das schwappende Nass, sehe in den blauen Saal, der sich langsam mit Menschen füllt. Sie alle tragen dunkelblaue Anzüge und rote Krawatten und die Frauen blaue Röcke und weiße Blusen. Sie sehen alle gleich aus, haben alle ein einheitliches Leben und sie setzen sich an die einheitlichen Tische in dem blauen Raum. Die Lesung beginnt. Ich sehe alles durch dieses Glas, auch Ihn, doch ich erkenne ihn nicht, ich weiß nur, ohne es zu wissen, das er es ist, dass wir uns Jahre nicht gesehen und dass er hier ist, mein Prinz, mein schmerzender in blau gekleideter Stern, der genauso still und einheitlich dort rechts von mir sitzt. Ich sehe auf seinen Rücken, sehe ein Stück seines Halses, seines weichen, geraden Halses und höre der monotonen Stimme der Dozentin, oder was sie auch immer sein mag, zu.

Die Zeit kriecht, ein blechernes Klingeln und die Stimme schlägt ihre Unterlagen zu, ich stehe auf, sehe nun nicht mehr hinter einer Wasser-Wand in den Saal.

Er ist weg.

Doch plötzlich legt sich eine warme Hand auf meine Schulter, er ist es, er spricht mich leise von hinten an, ob ich Lust hätte mit ihm ins China-Town zu gehen, etwas essen, die Lesungen seien ja immer so ermüdend.

Wir sitzen an einem Tisch, um uns herum Stimmen, Menschen, Essen, Gerüche, Unwissenheit, Verlangen, der Kellner kommt, wir bestellen. Er sieht mich an und ich ertrinke, wie Jahre zuvor, in seinen Augen, in ihrem Blau, er sieht mich unverwandt an, mein Türrahmen-Junge und die Erkenntnis durchzuckt mich, warm, verheißungsvoll, wie eine Schlange. Das Essen kommt, wir essen mit Stäbchen, ich verbrenne mir die Zunge ein bisschen, wie bei unserem ersten Essen, damals, als ich ihn kennenlernte, ich glaube, wir aßen Lasagne.

Ich sehe durch die Scheibe des Lokals hinaus in den Regen, hier ist es warm, hier ist es fremdländisch, gemütlich, hier sind Menschen, doch sie scheint es nicht zu geben, sie scheinen nur zur Kulisse zu gehören, sie haben kein Leben, keinen Namen.

Ich liebe ihn und werde es immer tun, in meinen Träumen werden wir immer in diesem Lokal sitzen und mit Stäbchen heißen Reis und Hühnchen essen, ja ich liebe ihn, doch ich darf es nur in meinen Träumen.

Deine Unbekannte

(13.2.2000 von Laura Rumich)


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