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Schnipsel

Zugfahrt

Eine Geschichte von Marjana Gaponenko (Ukraine)


Wir müssen schon lange an dunklen und feuchten Fichtenwäldern, an den Häusern mit Licht in Fenstern vorbeigefahren sein.
Ich presse eine Wange an das angenehm kühle Glas des Fensters und sehe wie der Regen schreiend dem Zug hinterherhinkt. Es scheint, dass wir so lebenslang fahren. Dunkle feuchte Wälder, Fichten, Häuschen mit Licht, Fichten, Fichten, Fichten...
Wir sitzen uns gegenüber im überheizten Abteil. Du schweigst und rauchst. Ich schaue auf deine Hände. Sie sind bleich, fast durchsichtig. Ein kleines Segelschiff könnte sie ruhig durcheilen. Ich beuge mich und küsse sie ohne Erlaubniss ganz kurz, so dass es wie ein Biß aussieht.
Du rührst dich nicht. Ich beiße vorsichtig deinen kleinen Finger. Nichts. Ich beiße ihn bis aufs Blut. Du schweigst. Sieh  mich doch an! Sag  etwas! Sag : « ich liebe dich nicht mehr.»oder: « so ein verfluchtes Wetter!» oder: «wann werden wir endlich ankommen?»  Deine Gedanken sind weit weg und du sitzt da wie im Traum.  Schweigst nur und rauchst...  
Zu meinem Entsetzen komme ich auf den Gedanken,dass ich ohne dich weggefahren und kurz darauf vor Trauer gestorben sein muß. Bin ich die ganze Zeit als Regen dem Zug hinterhergelaufen?...Vielleicht fahren wir so lange, dass ich verrückt geworden bin?

Die Nacht ist vorbei. Du liegst aufgedeckt im Bett . Ich habe die Venen deiner Arme betrachtet, auf deine haarige Brust wie auf eine Pusteblume gepustet. Jetzt schaue ich gelangweilt durchs Fenster.  Die Landschaften verändern sich immer wieder, so dass es den Augen wehtut.
Wir fahren gerade an irgendwelchen grauen Tälern vorbei. Unser Zug scheucht schlummernde Vögel auf, sie fallen langsam aus ihren Nestern heraus. Wenn du aufgewacht bist, werde ich dir sagen: Geliebter,du hast so viel versäumt, während du geschlafen hast.

Unser Zug eilt. Es wird heller und heller im Abteil. Ich brühe Tee auf. Wenn du aufgewacht bist, werden wir ihn kalt trinken und dem Tanz der Teeblätter folgen. Eine plumpe Bewegung und die Schuldigen werden aus dem Reigen ausgeschlossen.
Endlich  stehst du auf, reibst deine Augen. Ich kann deinen Körper noch einmal bewundern, bevor du dich anziehst. Es wird ein erster erstaunter Schluck vom Tee getan, den ich für dich aufgebrüht habe, vom etwas erkalteten Tee. Du jagst die Teeblätter mit dem Löffel wie ein richtiger Dompteur.
Inzwischen füllt sich unser Abteil mit Jasminduft. Dieser Duft ist so gastlich, so vertraut. Du trinkst Tee und lächelst. Ich setze mich gegen dein Lächeln wie gegen die Sonne.


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