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Schnipsel

Liebe, Wut und literarische Bomben


Marina Bartolovic interviewt den Lyriker Michael Zoch

Barocke Üppigkeit, pointierte Gesellschaftskritik: Mit einer Sammlung seiner kraftvollsten Texte im neuen Gedichtband "Wellenbrand" will der 41-jährige Dichter Michael Zoch aufrütteln, bewegen, verführen.

Die Journalistin Marina Bartolovic sprach mit dem wortgewandten Braunschweiger Lebenskünstler.

Michael Zoch
Herr Zoch, was verbindet den Titel "Wellenbrand" mit Ihren Gedichten?

Der Titel "Wellenbrand" ist mir eingefallen beim Fahrradfahren an einem sehr schönen Frühlingstag 2006, weil ich das Gefühl bekam, dass die darin versammelten Gedichte so eine Art Surfen von einer Welle zur anderen erlauben. Gleichzeitig will ich mit den Gedichten, mit jedem einzelnen, aber auch mit allen zusammen, ein gewisses Feuer entfachen.

Wo wir schon dabei sind - was hat es mit dem geheimnisvollen Titelbild auf sich, das eine halb geöffnete Tür zeigt, die nach außen führt?

Also im Vordergrund ist ja auch noch eine Matratze im Hauseingang zu sehen, womit ein ärmliches, bohèmehaftes oder sogar Pennerleben dargestellt wird. Durch die geöffnete Tür knallt allerdings auf dieses ärmliche und erbärmliche Leben die volle Wucht der Sonne, des Lichts, der Erleuchtung und auch des Feuers.

Sie selbst haben ein derart bohèmehaftes Leben geführt, Ihr Studium abgebrochen, mussten sich danach mit zahllosen Jobs über Wasser halten. Solch ein Leben erscheint einem Außenstehenden schnell als ziellos und getrieben. Sind Sie ein Getriebener?

Das ist eine verdammt gute Frage. Es ist halt so, dass ich irgendwie zwei Seelen in meiner Brust trage und dass ich zwischen dem Drang und der Sehnsucht nach Weite und Welt und gleichzeitig auch nach Bodenständigkeit und Wurzelhaftigkeit immer so hin- und herpendele. Aber als getrieben würde ich mich nicht bezeichnen.

Aber wie kommen Sie denn mit dieser finanziellen Unsicherheit, dem Alltagsleben im Allgemeinen so zurecht?

Jeder kleine Handgriff im Leben will gelebt werden, das fängt beim Schnürsenkelkaufen an und hört beim Geschirrspülen auf, und das habe ich zu erledigen - manchmal kotzt es mich total an, manchmal nervt es einfach absolut, vor allen Dingen meine so lange ich denken kann permanent schiefe Finanzlage. Wenn ich in einen Broterwerb eingebunden bin, nimmt er mich so ein, dass ich kaum zum Schreiben komme.
Andererseits ergibt sich dann, da ich ein überaus leidenschaftlicher Dichter bin, die Problematik, dass wenn ich mich dieser Leidenschaft Dichtung komplett hingebe, ich dann permanent in finanzielle Schwierigkeiten gerate, daher muss ich ganz klar sagen, dass was Kunst grundsätzlich und Dichtung ebenfalls betrifft, ich eine überaus anti-akademische Haltung habe. Ich halte auch absolut nichts davon, dass man Dichtung erlernen kann, für mich ist Dichtung eine Berufung, Dichter oder Künstler sein ein Wesenszug.
Meine Kunstform ist ganz klar eine, die aus dem täglichen Existenzkampf kommt und durch ihn bestimmt ist. Wenn ich hier sitze und nichts zu beißen habe und nicht weiß, wie ich Strom und Telefon und sonst was bezahlen soll, dann prägt es natürlich auch das, was ich da schreibe.

Sie werden öfter als erotischer oder sogar obszöner Dichter bezeichnet, da sich in vielen ihrer Gedichte sexuelle Anspielungen finden lassen. Wie ist Ihr Verhältnis zur Sexualität?

Also ich glaube schon, dass in jeder Kunst Eros oder die Erotik eine zentrale Rolle spielt, alleine schon für den schöpferischen Prozess an sich. Aber wenn man mich als frivolen oder erotischen Dichter bezeichnet aufgrund dessen, dass in meinen Gedichten und Texten obszöne Ausdrücke und Passagen vorkommen, würde ich das ganz klar verneinen.
Die Gedichte jetzt zum Beispiel im Gedichtband "Wellenbrand", die tatsächlich in irgendeiner Form ausdrücklich erotischen Inhalts sind, kann man an einer Hand abzählen. Was ich mache, gerade auch um Brüche herbeizuführen, ist, dass ich einfach bestimmte Kombinationen obszöner Ausdrücke benutze oder dass ich Ausdrücke, die in jedem deutschen Schlafzimmer im Grunde Gang und Gebe sind, in neue Zusammenhänge stelle.

Sie haben in Ihren Gedichten neben einer bildreichen, dichten Sprache auch eine präzise Beobachtungsgabe bewiesen. Einige Gedichten wie "Straßenszene" oder "Das Leben am Pool" erscheinen sehr bissig und gesellschaftskritisch.
Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu den Menschen, im Einzelnen aber auch im Allgemeinen beschreiben?


Ich bin auf gar keinen Fall ein Misanthrop. Ich bin ein ganz großer Menschenliebhaber, ich liebe Menschen über alles. Wogegen ich mich unter anderem auch in meinen Gedichten massiv wende, und das mit allen Mitteln, die einem Schreibenden möglich sind, ist die grundsätzliche Organisation unserer menschlichen Gesellschaft und auch Zivilisation. Sie basiert auf Werten, Traditionen und Normen, die niemals den Bedürfnissen des Lebens und des Menschen entsprochen haben. Wenn man die momentanen gesellschaftlichen, politischen und sozialen Umstände in den Zeiten des Hochkapitalismus betrachtet, dann ist alles nur noch schlimmer, zutiefst lebensfeindlich geworden - und dagegen habe ich literarische Bomben zu schmeißen.

Und was wäre da Ihr Gegenentwurf, Ihre Utopie?

Politisch gedacht bin ich im Grunde ein Anarchist. Und zwar keiner, der auf Teufel komm raus weltweit einfach nur Chaos verbreiten will, sondern der eigentlich einem Entwurf anhängt, der Leben nicht in riesigen Staatsgebilden, sondern in kleinen Einheiten befürworten würde.
Ich weiß auch absolut, dass die Form von Anarchie, wie ich sie mir vorstelle, im positiven Sinn, lange noch nicht realisierbar ist, weil der Mensch lange noch nicht so weit ist, weil der Mensch noch nicht einmal Mensch geworden ist. Erst mal würde ich gerne Platz und Raum schaffen für Kreativität, für Fantasie, für ein liebevolles Miteinander, vor allem auch der Geschlechter, Jung und Alt, und so weiter.

Ihre Gedichte passen ja mit ihrer Leidenschaft, mit ihrer Wut, ihrem Aufbegehren überhaupt nicht zu dem aktuellen Trend des nüchternen, abgeklärten, resignativ-ironischen Dichters. Was haben Sie solchen Dichtern zu sagen?

Es wäre sehr anmaßend, den momentan angesagten Lyrikern mit ihrem Hang zu resignativem Zynismus und amerikanischer, kaugummikauender Abgeklärtheit, Sachlichkeit und Coolness irgendwie zu sagen, wie sie zu schreiben haben - aber Leuten, die vielleicht noch auf dem Weg sind, auf der Suche sind, würde ich ganz klar sagen: Zeigt euch so nackt wie möglich! Kommt aus dem Arsch! Lehnt euch auf, macht Feuer unterm Dach! Verzieht euch nicht in eure Ecken und Kellerlöcher und muckelt da resigniert und abgeklärt vor euch hin...!

Was ist es dabei, was Sie beim Dichten besonders inspiriert - sind es literarische Vorbilder, Menschen, Momente?

Ganz entscheidend inspirierend ist für mich Musik. Das ist dann natürlich auch wieder stimmungsabhängig. Sehr inspirierend finde ich massiv nach vorne wälzende, überaus druckvolle Independent-Musik, teilweise auch harten New Wave. Zweitens sind natürlich für mich als Dichter zwangsläufig Frauen und Frauengestalten überaus inspirierend, Liebe und Verliebtheit an sich, auch vergangene, noch zu verarbeitende Liebesgeschichten, Liebesdramen, Liebestragödien, Liebeskomödien.
Vorbilder habe ich natürlich auch, die bewusst oder unbewusst in meine Texte mit einfließen. So von der Haltung der Welt gegenüber waren sicher sehr entscheidend für mich Henry Miller auf der einen Seite und der aktuelle Dalai Lama auf der anderen Seite. In Sachen Lyrik sicherlich Arthur Rimbaud, aber das heißt natürlich nicht, dass ich schreibe wie Rimbaud oder Miller, aber ich habe ganz klar literarische und auch weltliche Helden und ich meine auch, dass es zeitgenössischen Lyrikern da an Enthusiasmus und enthusiastischer Bewunderung mangelt.

Haben Sie eigentlich in Ihrem Gedichtband oder allgemein ein persönliches Lieblingsgedicht oder hat jeder Text irgendwie seine eigene Bedeutung für Sie?

Alle meine Gedichte sind in irgendeiner Form meine Kinder und sie haben jedes auf seine Art ihren Stellenwert und ihre Berechtigung, aber in den mittlerweile 15 Jahren, in denen ich lyrisch vor allem tätig bin, gab es für mich immer Meilensteine, Quantensprünge, was Sprache, Inhalt, Form, Stimmung, genaues Treffen des zu Sagenden, Leidenschaft, Druck, Intensität angeht.
Mir persönlich gefällt am besten "Beauté de la vie", dann "Cascade", "Straßenszene" als gesellschaftsphilosophisches Gedankengebäude und zugleich als Generalabrechnung, "Rock'n'Roll I", weil da die ganze Wucht des nächtlichen Aufbegehrens drin ist, "Schneetreiben", weil es das reine Gefühl, die Essenz des Gefühls wahrhaftiger Herzensliebe ist...

Zum Schluss: Was haben Sie denn konkret für Pläne in literarischer Hinsicht, die Sie gerne umsetzen würden?

Pläne habe ich ohne Ende, die sich aber auch aufgrund der begrenzten finanziellen Mittel sehr schwer verwirklichen lassen.
Ich würde gerne "Wellenbrand" als Hörbuch produzieren und habe auch in der Richtung schon alles Mögliche unternommen, um einen passenden Sprecher oder eine passende Sprecherin oder beides zu finden und wenn möglich noch einen Musiker und eine Musikerin. Unter anderem habe ich eine E-Mail an die Agentur von Ben Becker geschrieben, so ins Blaue hinein, wobei ich mir sicher bin, dass er nicht das geringste Interesse daran hat.
Ansonsten arbeite ich gerade an einem neuen Gedichtband und einem Romanprojekt.

Herr Zoch, vielen Dank für das Gespräch!