Schnipsel

Interview mit dem Lyriker Johannes Witek


Ulrich Wilker im Gespräch mit dem Salzburger Autor über Lyrik und sein neues Buch "Was sie im Norden der Insel als Mond anbeten, kommt bei uns im Süden in die Sachertorte"

UW: Johannes, in Anlehnung an den Titel Deines neuen Buches möchte ich mit der Frage beginnen, wo es sich denn nun eigentlich besser lebt - im Norden oder im Süden?

JW: Gute Frage. Kommt auf die Perspektive an. Im Norden gibt's den Mond und etwas, was man anbeten kann. Unabdingbar für die menschliche Psyche. Im Süden gibt's die säkularisierte Sachertorte. Unabdingbar für die menschliche Wampe. Eine fatale Dialektik tut sich hier auf, ein Konflikt faustischen Ausmaßes gähnt uns an. Nach reiflichem Erwägen komme ich zu folgender bahnbrechender Ansicht: am besten ist es in der Mitte. Die menschliche Psyche hat noch nie jemand gut getan und scheiß auf die Sachertorte. Das Klischee und alles. Was kommt als nächstes? Mozartkugeln? Fiaker? Ich hasse Fiaker.

     

UW: Über Dein diplomatisches Plädoyer für die Mitte muss ich mich doch ein wenig wundern - hat nicht Dein berühmter Landsmann Arnold Schönberg gesagt, "Der Mittelweg ist der einzige, der NICHT nach Rom führt"?
Und wenn wir schon bei den Klischees und berühmten Landsmännern sind: In einem Deiner Texte läuft kurz Georg Trakl durchs Bild, der in der Salzburger Apotheke „Zum weißen Engel“ ja gerne mal ein paar Betäubungsmittel hat mitgehen lassen. Ist Trakl sozusagen die andere Seite der Salzburger Mozartkugel-Festspiel-Klischee-Medaille (und damit wieder nur ein anderes Klischee) oder taugt er heute noch zum Vorbild für bewusstseinserweiterte Jungliteraten?

JW: Georg Trakl hatte beängstigend große Nasenlöcher und, nach allem was wir wissen, seine Schwester geknallt. Beides nicht zu unterschätzende Anzeichen von Originalität, würde ich sagen, die durchaus zum Vorbild gereichen. Mir zumindest. Für den Rest kann ich natürlich nicht sprechen.

Übrigens fällt mir auf, dass du überdurchschnittlich bewandert bist in der österr. Literatur. How comes? Vielleicht ist das alles von außen doch nicht so trostlos, wie es von hier innen aussieht?

Ich gestehe zu, dass die Mitte ein wenig langweilig und Standard ist.  Aber dann, wer WILL schon noch nach Rom? Also, in das Rom von heute? Und wenn man was dafür tun muss ... und wofür? Fettige Pizza und jede Menge toter Kultur und Geschichte auf Fotos, und man selber davor, mit einem extra dämlichen Gesichtsausdruck, der sagt: ich stehe hier und hab eine gute Zeit, weil ich MUSS. Ich habe dafür BEZAHLT und jetzt will ich was dafür HABEN. Unnötig. Am besten gar nicht erst aus dem Bett aufstehen.

Aber, ja, um auf Trakl zurückzukommen, in gewisser Hinsicht ist er eine Alternative zu allem, was uns hier so kränklich anzuglänzen versucht. Eine Art dunkel wuchernder Pilz an der Unterseite, obwohl natürlich längst vereinnahmt und absorbiert, nachdem man zuvor die Toxine sorgfältig analysiert und isoliert hat.

Außerdem: zu viel Mond in seinen Gedichten. Dauernd irgendwo der beschissene Mond. Der Mond hat in Gedichten nichts zu suchen. Er gehört in den schmierigen schwarzen Abwaschwasser-Himmel, von wo aus er einem wie ein giftiges Auge ins Hirn starrt. Geschweige denn, in Gedichtbandtitel.

UW: Es ist doch fast schon ein Klischee, dass wir Deutschen österreichische Literatur so besonders toll finden - bei mir jedenfalls rangieren Streeruwitz und Glavinic ziemlich oben auf der Liste, bei vielen, die ich kenne, kommen Bernhard oder auch Doderer noch dazu - naja, junge Literatur ist das alles nicht gerade, ich gebs zu.
Aber à propos Trostlosigkeit, zu berühmten Landsleuten noch eine letzte Frage: Seit einiger Zeit gibt es ja in Kärnten das Jörg Haider-Museum zu bewundern und bestaunen, was mich auf die Frage bringt: Was könnte man alles in einem Witek-Museum entdecken? Außer Gipsabdrücke der Nasenlöcher und den Briefwechsel mit seiner/Deiner Schwester (z.B.)?

JW: Klischee oder nicht, es fasziniert mich besonders, dass Doderer so beliebt ist in Deutschland. Hab ich schon von mehreren Seiten gehört. Kein Vergleich zu hier. Doderer, wer?

Dabei hat er geschrieben:
"Die Watschen muss ein ihr Objekt umfassender Volltreffer sein, der es gleichsam als Negativ mit allen Einzelheiten abbildet. Eine Watschen ist personumfassend und erledigend."

Allein diese beiden Sätze wiegen ganze Gesamtwerkreihen diverser anderer Nasen auf, meiner bescheidenen Meinung nach. Insofern würde ich sagen, dass es auch das ist, was in jedes anständige Museum solcher Art gehört: Zeugnisse der Watschen, die einer bekommen hat. Vielleicht weniger die physischen. Obwohl die natürlich auch.

Denn sind oh sind wir nicht alle in unserem Leben im Grunde nur unterwegs von einer Watschen zur nächsten? Ein "Witek-Museum" wäre jedenfalls so ziemlich die größte für mich. Die Vorstellung erfüllt mich mit Grauen.

UW: Es ist natürlich auch mehr als ein Klischee. Marlene Streeruwitz etwa betont ausdrücklich, dass Sie auf Österreichisch schreibt und nicht auf Deutsch (und führt als Beispiel etwa verschiedene Konjunktivbildungen an). Vielleicht finden wir Deutschen in österreichischer Literatur etwas, das wir in der eigenen nicht finden können  (dazu gabs mal ein großes Spezial in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung)?  Exotismus - Österreich als erster Außenposten des Morgenlandes? Das Fremde im Eigenen bzw. Eigene im Fremden? Welcher Sprache bedienst denn Du Dich? Was kannst Du uns geben, was wir bei uns nicht haben? Gibt es ein deutsches Oberunterwörgersdorf? Oder sind Salzburger Watschen schlicht und ergreifend nichts anderes als eine ganz normale bundesdeutsche Ohrfeige (dabei klingt Ohrfeige sogar morgenländischer als Watsche!)?

JW: Das sind sehr interessante Fragen für mich.

Ich bin Österreicher und lebe ungefähr 98% meiner Zeit in und durch die österreichische Umgangssprache hindurch, sprich: den Dialekt. Natürlich gibts nicht nur einen. Es gibt das nasale Wiener Flöten, den Kärntner Beller, das Tiroler Speckknödel-"R", und die siebzehn Vorarlberger Diphthonge, die eigentlich lieber Schweizer Staatsbürger wären. Etc. Gleichzeitig gibt es im Dialekt einige eklige, absurde, groteske und schlicht und einfach schier geniale Wendungen und Vokabel, von denen kein Mensch weiß, woher sie kommen und um die es wirklich schade wäre, finde ich, würde sie die, ähem, "Literatur" (?) komplett ignorieren.

Zugleich habe ich aber folgendes Problem: Ich hasse Dialektliteratur, Mundartdichtung, den ganzen Krampf. Ich verstehe die Idee, aber irgendwie zieht sich bei mir immer alles zusammen, wenn ich so was lese:

"Wüst ned, hod ea
zu mia gsogd
mi liabn wia die
gonze wöd?"

"Da Opa kumt zua Tia eine,
legd sein Beidl aufn Disch
und trinkt zwöööf Lita
Ziamschnops
!!"

Irgendwas stellt sich da auf bei mir. Und nichts, womit man sich fortpflanzen könnte. Ich versuche also, wenn ich so unbescheiden sein darf, das zu bemerken, irgendwie damit zu spielen und die Phrasen, die ich besonders gut finde, gelegentlich in normales Schriftdeutsch einzubauen. Nicht als Programm wie z.b. Wolf Haas, sondern als eine Art Experiment, als Improvisation. Oft schraube ich das sogenannte Schriftdeutsch noch extra dämlich hoch. Dadurch entsteht ein komischer Effekt, jedenfalls für mich. Ich frage mich allerdings häufig, wie das auf den durchschnittlichen deutschen Bundesbürger wirken muss und ob ihr mich nicht alle für komplett wahnsinnig haltet. Auch das amüsiert mich dann irgendwie. Also scheiß drauf:

Ich werde nicht damit aufhören bis der Sau graust und ihr alle abgefieselt seid wie eine dreimal durchdividierte Bierzelthenne!

Hähnchen. Huhn.

UW: Deine Antwort führt uns ganz nah an eine Witek'sche Poetik (im Sinne von poiesis). Vielleicht darf ich noch eine solche, eher theoretische Frage stellen. Der Untertitel Deines Buchs lautet "Gedichte und Prosa". Schaut man sich die dort versammelten Texte genauer an, hat man den Eindruck, dass da Prosa und Lyrik ziemlich ineinanderfließen; Baudelaire hat dafür den Terminus "poème en prose" geprägt. Ist diese Unterscheidung, in der dem Gedicht ja ein noch höherer Grad an Bearbeitetsein und Ver'dichtung' zugeordnet ist, in irgendeiner Weise noch von Bedeutung für Deine Texte, ihr Verständnis oder für Deine Arbeitsweise?

JW: Auch das ist eine spannende Frage, mit der ich mich übrigens häufig konfrontiert sehe (vom Tankwart, der Kassiererin im Supermarkt, dem Verkehrspolizisten usw.)

Für mich persönlich verschwimmen die Grenzen zwischen Prosa und Lyrik definitiv, alles kommt vom selben Ort. Viele Leute stören die Zeilenumbrüche, wenn ich das richtig verstehe. So nach dem Motto, Zeilenbruch rein und ALLES kann ein Gedicht sein; das kanns ja wohl nicht sein! Warum eigentlich nicht?

Meiner bescheidenen Meinung nach resultiert das aus diesem arschbackenzusammengekniffenen, halb über die konkrete Poesie in die Postmoderne gekräulten Lyrikverständnis, dass ein Gedicht aus dieser ultrahermetischen, sterilen, weitgehend humorresistenten Plastiksprache bestehen muss, über der sich mindestens zwei Wochen die Brillengläser beschlagen haben; so irgendwie in der Art:

fatale protuberanzen. rauschhaft.. .fraktale.
die knospe, die wellen, horizontbefragung.
///kahle grammatik//
            letzte destillate zwischen
hier & schwerkraft.
         [das konzept; der]
wild.laut.ende.s
rot der v-erkehr.(s) amp'l
ersäuft mein auge im nubischen NEIN
des
  ultramarin,
             denn.

Aber es ist leicht, sich darüber lustig zu machen. Und ich will mich hier nicht als der große Stürmer und Dränger aufspielen. Sogar das Klischee zu kritisieren, ist in der Hinsicht schon längst ein Klischee. Ich finde das sogar irgendwie gut, wenn es gut gemacht ist. Ein bisschen wie Leute, die bei Verkehrsunfällen stehen bleiben, oder das Kreischen des Zahnarztbohrers. Ha. Jedenfalls ist das so ziemlich der Scheiß, der sämtliche Lyrikpreise gewinnt.
Solange ich nicht gezwungen werde, da zu partizipieren, ist alles grün und rosig. Für mich ist alles ein Gedicht, was ich zu einem Gedicht mache.

Letztlich scheint es mir eher eine Gattungsfrage, als irgendwas anderes: Irgendwie ist es völlig widersinnig und absurd, in unserer heutigen Zeit Gedichte zu schreiben. Zumindest kommt mir das so vor. Als würde man auf einem Pferdewagen die Autobahn verstopfen, auf dem Weg, sich einen gestärkten Kragen zu kaufen. Oder so. Vor hundert Jahren war das Gedicht eine pompöse, aufgeblasene Angelegenheit für Studienräte und syphilitische Esoteriker. Vor dreißig Jahren war das Gedicht der beste Ort, um sich über Stalins buschige Augenbrauen zu grämen. Aber heute? Mit unseren Smartphones und Einkaufszentren und YouTube und Facebook und zwölf unbezahlten Praktikanten auf einen Key-Account-Manager? Heute ist einfach nicht mehr die Zeit für Gedichte.

Der beste Grund, welche zu schreiben.

UW: Ein wunderbares Schlusswort. Vielen Dank für das Interview!





Johannes Witek:
"Was sie im Norden der Insel als Mond anbeten,
kommt bei uns im Süden in die Sachertorte"

Chaotic Revelry Verlag, 154 Seiten
ISBN-13: 978-3981245721


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