UW: Über Dein
diplomatisches Plädoyer für die Mitte muss ich mich doch
ein wenig wundern - hat nicht Dein berühmter Landsmann Arnold
Schönberg gesagt, "Der Mittelweg ist der einzige, der
NICHT nach Rom führt"?
JW: Georg Trakl hatte
beängstigend große Nasenlöcher und, nach allem was
wir wissen, seine Schwester geknallt. Beides nicht zu
unterschätzende Anzeichen von Originalität, würde
ich sagen, die durchaus zum Vorbild gereichen. Mir zumindest.
Für den Rest kann ich natürlich nicht
sprechen. Übrigens fällt
mir auf, dass du überdurchschnittlich bewandert bist in der
österr. Literatur. How comes? Vielleicht ist das alles
von außen doch nicht so trostlos, wie es von hier innen
aussieht? Ich gestehe zu, dass die
Mitte ein wenig langweilig und Standard ist. Aber dann, wer
WILL schon noch nach Rom? Also, in das Rom von heute? Und wenn man
was dafür tun muss ... und wofür? Fettige Pizza und jede
Menge toter Kultur und Geschichte auf Fotos, und man selber davor,
mit einem extra dämlichen Gesichtsausdruck, der sagt: ich
stehe hier und hab eine gute Zeit, weil ich MUSS. Ich habe
dafür BEZAHLT und jetzt will ich was dafür HABEN.
Unnötig. Am besten gar nicht erst aus dem Bett
aufstehen. Aber, ja, um auf Trakl
zurückzukommen, in gewisser Hinsicht ist er eine Alternative
zu allem, was uns hier so kränklich anzuglänzen versucht.
Eine Art dunkel wuchernder Pilz an der Unterseite, obwohl
natürlich längst vereinnahmt und absorbiert, nachdem man
zuvor die Toxine sorgfältig analysiert und isoliert hat.
Außerdem: zu viel
Mond in seinen Gedichten. Dauernd irgendwo der beschissene Mond.
Der Mond hat in Gedichten nichts zu suchen. Er gehört in den
schmierigen schwarzen Abwaschwasser-Himmel, von wo aus er einem wie
ein giftiges Auge ins Hirn starrt. Geschweige denn, in
Gedichtbandtitel. UW: Es ist doch fast schon
ein Klischee, dass wir Deutschen österreichische Literatur so
besonders toll finden - bei mir jedenfalls rangieren Streeruwitz und Glavinic ziemlich oben auf der Liste, bei vielen,
die ich kenne, kommen Bernhard oder auch Doderer noch dazu -
naja, junge Literatur ist das alles
nicht gerade, ich gebs
zu.
JW: Klischee oder nicht,
es fasziniert mich besonders, dass Doderer so beliebt ist in
Deutschland. Hab ich schon von mehreren Seiten gehört. Kein
Vergleich zu hier. Doderer, wer? Dabei hat er
geschrieben: Allein diese beiden
Sätze wiegen ganze Gesamtwerkreihen diverser anderer Nasen
auf, meiner bescheidenen Meinung nach. Insofern würde ich
sagen, dass es auch das ist, was in jedes anständige Museum
solcher Art gehört: Zeugnisse der Watschen, die einer bekommen
hat. Vielleicht weniger die physischen. Obwohl die natürlich
auch. Denn sind oh sind wir
nicht alle in unserem Leben im Grunde nur unterwegs von einer
Watschen zur nächsten? Ein "Witek-Museum" wäre jedenfalls so ziemlich
die größte für mich. Die Vorstellung erfüllt
mich mit Grauen. UW: Es ist natürlich
auch mehr als ein Klischee. Marlene Streeruwitz etwa betont ausdrücklich, dass Sie
auf Österreichisch schreibt und nicht auf Deutsch (und
führt als Beispiel etwa verschiedene Konjunktivbildungen an).
Vielleicht finden wir Deutschen in österreichischer Literatur
etwas, das wir in der eigenen nicht finden können (dazu
gabs mal ein großes Spezial in der
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung)? Exotismus - Österreich als erster
Außenposten des Morgenlandes? Das Fremde im Eigenen bzw.
Eigene im Fremden? Welcher Sprache bedienst denn Du Dich? Was
kannst Du uns geben, was wir bei uns nicht haben? Gibt es ein
deutsches Oberunterwörgersdorf?
Oder sind Salzburger Watschen schlicht und ergreifend nichts
anderes als eine ganz normale bundesdeutsche Ohrfeige (dabei klingt
Ohrfeige sogar morgenländischer als
Watsche!)? JW: Das sind sehr
interessante Fragen für mich. Ich bin Österreicher
und lebe ungefähr 98% meiner Zeit in und durch die
österreichische Umgangssprache hindurch, sprich: den Dialekt.
Natürlich gibts nicht nur einen.
Es gibt das nasale Wiener Flöten, den Kärntner Beller,
das Tiroler Speckknödel-"R", und die siebzehn
Vorarlberger Diphthonge, die eigentlich lieber Schweizer
Staatsbürger wären. Etc. Gleichzeitig gibt es im Dialekt
einige eklige, absurde, groteske und schlicht und einfach schier
geniale Wendungen und Vokabel, von denen kein Mensch weiß,
woher sie kommen und um die es wirklich schade wäre, finde
ich, würde sie die, ähem,
"Literatur" (?) komplett
ignorieren. Zugleich habe ich aber
folgendes Problem: Ich hasse Dialektliteratur, Mundartdichtung, den
ganzen Krampf. Ich verstehe die Idee, aber irgendwie zieht sich bei
mir immer alles zusammen, wenn ich so was lese:
"Wüst ned, hod ea "Da Opa kumt zua Tia eine,
Irgendwas stellt sich da
auf bei mir. Und nichts, womit man sich fortpflanzen könnte.
Ich versuche also, wenn ich so unbescheiden sein darf, das zu
bemerken, irgendwie damit zu spielen und die Phrasen, die ich
besonders gut finde, gelegentlich in normales Schriftdeutsch
einzubauen. Nicht als Programm wie z.b.
Wolf Haas, sondern als eine Art Experiment, als Improvisation. Oft
schraube ich das sogenannte Schriftdeutsch noch extra dämlich
hoch. Dadurch entsteht ein komischer Effekt, jedenfalls für
mich. Ich frage mich allerdings häufig, wie das auf den
durchschnittlichen deutschen Bundesbürger wirken muss und ob
ihr mich nicht alle für komplett wahnsinnig haltet. Auch das
amüsiert mich dann irgendwie. Also scheiß drauf:
Ich werde nicht damit
aufhören bis der Sau graust und ihr alle abgefieselt seid wie eine dreimal durchdividierte
Bierzelthenne! Hähnchen.
Huhn. UW: Deine Antwort
führt uns ganz nah an eine Witek'sche Poetik (im Sinne von poiesis). Vielleicht darf ich noch eine solche,
eher theoretische Frage stellen. Der Untertitel Deines Buchs lautet
"Gedichte und Prosa". Schaut man sich die dort
versammelten Texte genauer an, hat man den Eindruck, dass da Prosa
und Lyrik ziemlich ineinanderfließen; Baudelaire hat dafür
den Terminus "poème en
prose" geprägt. Ist diese
Unterscheidung, in der dem Gedicht ja ein noch höherer Grad an
Bearbeitetsein und Ver'dichtung' zugeordnet ist, in
irgendeiner Weise noch von Bedeutung für Deine Texte, ihr
Verständnis oder für Deine
Arbeitsweise? JW: Auch das ist eine
spannende Frage, mit der ich mich übrigens häufig
konfrontiert sehe (vom Tankwart, der Kassiererin im Supermarkt, dem
Verkehrspolizisten usw.) Für mich
persönlich verschwimmen die Grenzen zwischen Prosa und Lyrik
definitiv, alles kommt vom selben Ort. Viele Leute stören die
Zeilenumbrüche, wenn ich das richtig verstehe. So nach dem
Motto, Zeilenbruch rein und ALLES kann ein Gedicht sein; das
kanns ja wohl nicht sein! Warum
eigentlich nicht? Meiner bescheidenen
Meinung nach resultiert das aus diesem
arschbackenzusammengekniffenen, halb über die konkrete Poesie
in die Postmoderne gekräulten
Lyrikverständnis, dass ein Gedicht aus dieser
ultrahermetischen, sterilen, weitgehend humorresistenten
Plastiksprache bestehen muss, über der sich mindestens zwei
Wochen die Brillengläser beschlagen haben; so irgendwie in der
Art: fatale protuberanzen. rauschhaft.. .fraktale.
Aber es ist leicht, sich
darüber lustig zu machen. Und ich will mich hier nicht als der
große Stürmer und Dränger aufspielen. Sogar das Klischee zu
kritisieren, ist in der Hinsicht schon längst ein Klischee.
Ich finde das sogar irgendwie gut, wenn es gut gemacht ist. Ein
bisschen wie Leute, die bei Verkehrsunfällen stehen bleiben,
oder das Kreischen des Zahnarztbohrers. Ha. Jedenfalls ist das so
ziemlich der Scheiß, der sämtliche Lyrikpreise
gewinnt.
Letztlich scheint es mir
eher eine Gattungsfrage, als irgendwas anderes: Irgendwie ist es
völlig widersinnig und absurd, in unserer heutigen Zeit
Gedichte zu schreiben. Zumindest kommt mir das so vor. Als
würde man auf einem Pferdewagen die Autobahn verstopfen, auf
dem Weg, sich einen gestärkten Kragen zu kaufen. Oder so. Vor
hundert Jahren war das Gedicht eine pompöse, aufgeblasene
Angelegenheit für Studienräte und syphilitische
Esoteriker. Vor dreißig Jahren war das Gedicht der beste Ort,
um sich über Stalins buschige Augenbrauen zu grämen. Aber
heute? Mit unseren Smartphones und
Einkaufszentren und YouTube und
Facebook und zwölf unbezahlten
Praktikanten auf einen Key-Account-Manager? Heute ist einfach nicht mehr
die Zeit für Gedichte. UW: Ein wunderbares
Schlusswort. Vielen Dank für das
Interview! |
Johannes Witek:
"Was sie im Norden der Insel als Mond anbeten, kommt bei uns im Süden in die Sachertorte" Chaotic Revelry Verlag, 154 Seiten ISBN-13: 978-3981245721 Bestellmöglichkeit hier oder direkt beim Verlag * * * • Lyrik von Johannes Witek in den "Schnipseln": Django Reinhardts dritter Finger und Numismatik • Prosa von Johannes Witek in den "Schnipseln": Das Dekret des Kaisers und Warten auf Hertha |